Freitag12. Dezember 2025

Demaart Zu Demaart

Headlines

Zum Töten verführt

Zum Töten verführt
(AP)

Jetzt weiterlesen !

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Oder schließen Sie ein Abo ab.

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Die Anweisung des Mullahs an die Jungen war unmissverständlich: Geht nach Afghanistan, legt einen Sprengstoffgürtel an - und tötet. Die Taliban setzt Kinder als Selbstmordwaffe ein.

Der neunjährige Ghulam Farook verließ mit drei anderen Jungen seine Heimat Pakistan. Ihr Ziel: der Osten Afghanistans, wo sie zwei Mitglieder der Taliban am Grenzübergang Torkham in der Provinz Nangarhar in Empfang nehmen würden. Die tödliche Mission der vier nahm jedoch ein jähes Ende, als der afghanische Geheimdienst ihnen nach einem Hinweis auf die Spur kam und sie schließlich an der Grenze festnahm.

«Unser Mullah hat uns gesagt, wenn wir unsere Selbstmordanschläge machen, würden alle Leute um uns herum sterben, wir jedoch am Leben bleiben», sagt Farook. «Er hat uns gesagt, dass es in Kabul Ungläubige gibt und dass wir Selbstmordattentate gegen sie ausführen müssen», erklärt er. «Uns wurde in einer Moschee in Cher Abad bei
Peshawar beigebracht, wie man einen Sprengstoffgürtel benutzt.» Farook hat jetzt einen Wunsch. «Ich will nach Hause. Ich vermisse meine Familie.» Sein zehnjähriger Weggefährte Fazel Rahman hat eine ähnliche Geschichte zu erzählen.

Problem öffentlich machen

Farook und Rahman gehören zu fünf mutmaßlichen Selbstmordattentätern im Kindes- und Jugendalter, die im Mai auf
Geheiß des afghanischen Geheimdienstes auf einer Pressekonferenz präsentiert wurden. Mit der Aktion hofften die Behörden, die öffentliche Stimmung gegen die radikalislamischen Taliban wenden zu können.

«Die Taliban rekrutieren Kinder und missbrauchen sie, um hier Selbstmordanschläge zu verüben», erklärte der Sprecher des afghanischen Geheimdienstes, Latifullah Maschal. «Diese unschuldigen Kinder sind betrogen und nach Afghanistan geschickt worden.» Die Taliban wendeten sich kleinen Jungen zu, da diese einfacher für ihre Sache zu gewinnen seien als Erwachsene und den extremistischen Anwerbern eher Glauben schenkten, erklärten Maschals Kollegen.

Kein neues Phänomen

Die Taliban hingegen weisen die Anschuldigungen zurück. In einer vor einer Woche verbreiteten Stellungnahme erklärte ihr Sprecher Kari Jousef Ahmadi, der Verhaltenskodex der Aufständischen verbiete, dass sich junge Menschen in Militärlagern bei Kämpfern aufhielten. Stattdessen erklärte er, dass die Kinder für die afghanische Polizei und öffentliche und private Sicherheitsfirmen im Einsatz gewesen seien.

Tatsächlich ist der Missbrauch Minderjähriger als Selbstmordattentäter nach Ansicht von Behördenvertretern in dem seit fast zehn Jahren anhaltenden Konflikt am Hindukusch kein neues Phänomen. Zwar können die Leichen der Angreifer oft nicht identifiziert werden, wodurch die zweifelsfreie Bestätigung entsprechender Fälle erschwert wird. Dennoch spricht Geheimdienstler Maschal von einer wachsenden Zahl von Vollstreckern im zarten Kindesalter.

Immer zahlreiche Opfer

Der letzte Vorfall liegt nicht lange zurück. Am 1. Mai sprengte sich ein 12-Jähriger laut Polizei auf einem Basar in der östlichen Provinz Paktika in die Luft und riss vier Zivilpersonen mit in den Tod, zwölf weitere wurden verwundet.

Nur wenige Wochen zuvor hatte ein 13-jähriger Selbstmordattentäter seinen Sprengstoffgürtel in der östlichen
Provinz Asmar zur Detonation gebracht. 10 Menschen starben, darunter fünf Schulkinder und ein einflussreicher Stammesältester.

«Ich steige aus»

Auch der 14-jährige Noor Mohammad legte sich in der Provinz Ghasni unter Anleitung eines Mullahs einen Sprengstoffgürtel an. Sein Ziel: ein NATO-Militärstützpunkt im Bezirk Andar. Am Ende ließ er seinen Plan jedoch fallen. «Die Taliban zeigten mir, wie man eine Pistole benutzt, den Auslöser eines Sprengstoffgürtels drückt und wie man Motorrad fährt,» sagte er vor Journalisten auf der
Pressekonferenz in Kabul. «Als der Tag des Selbstmordanschlags gekommen war, entschied ich mich auszusteigen. Ich schloss mich den Regierungstruppen an und führte den Anschlag nicht aus.» Was ihn letztlich zu seinem Sinneswandel bewogen hat, lässt Mohammad offen.

Farook und die anderen Jungen sitzen derzeit in einer Jugendhaftanstalt in Kabul ein, die eher an ein
Berufsbildungszentrum erinnert. Es gibt keine Wärter, dafür aber Klassenzimmer und Spielplätze. Farook lächelt. Er gehe zur Schule. Hier hätten sie die Möglichkeit, ein Handwerk wie Teppichweben oder Tischlern zu lernen, erklärt er. Die afghanischen Behörden beraten noch darüber, ob die Jungen angeklagt oder freigelassen werden sollen.