Die Angst vor den Muslimbrüdern war ein wichtiges Element in der 30-jährigen Herrschaft Hosni Mubaraks. Entweder ich oder sie, rief er Kritikern in Erinnerung, wenn diese wieder einmal die Menschenrechtslage in Ägypten anprangerten. Die Drohung verfehlte ihre Wirkung nie und klang sogar nach seinem Rücktritt nach. Allen voran Israel und die USA, aber auch Kreise in Europa befürchteten eine Islamisierung und Radikalisierung Ägyptens, sollten freie Wahlen die Muslimbrüder an die Macht bringen. Zahlreiche Experten beschwichtigten, die Organisation sei weit weniger homogen und einflussreich als in der Vergangenheit.
" class="infobox_img" />Die Muslimbrüder, eine Gefahr für Aegypten und die ganze Region? (Foto: AP)
Zwei Monate nach dem Sieg der ägyptischen Revolution mehren sich die Anzeichen, dass sie die Gefahr unterschätzt haben könnten. Wie die Website «The Media Line» berichtet, hat sich Issam Durbala, ein ranghoher Vertreter der Muslimbrüder, für die Schaffung einer Sittenpolizei in Ägypten ausgesprochen: «Die neue Polizei muss eine Abteilung mit beschränkten Befugnissen haben, jene zu verhaften, die sich unmoralisch verhalten», sagte Durbala der ägyptischen Tageszeitung «Al Masri Al Youm».
Die sogenannte «Hisbah» kontrollierte in islamischen Gesellschaften des Mittelalters die Einhaltung der Sitten auf Marktplätzen und in anderen öffentlichen Räumen. Eine zeitgenössische Fortsetzung findet sie in Saudi-Arabien, wo das «Komitee für die Förderung der Tugend und die Verhinderung von Lastern» über die Einhaltung der strengen Geschlechtertrennung und Kleidervorschriften sowie des Alkoholverbots wacht. Ihr religiöser Eifer sorgte schon für zahlreiche Eklats, so auch 2002, als 14 Mädchen bei einem Schulbrand in Mekka ums Leben kamen. Die Sittenwächter hatten sie am Verlassen des brennenden Gebäudes gehindert, weil sie nicht verschleiert waren und in Kontakt mit männlichen Feuerwehrmännern hätten kommen können.
Salafisten noch radikaler als Muslimbrüder
Dabei zählen die Muslimbrüder nicht einmal zu den radikalsten Islamisten in Ägypten. Die Salafisten, die der fundamentalistischen, wahhabitischen Koranauslegung nahe stehen, waren unter Mubarak als Gegengewicht zu den Muslimbrüdern geduldet. Im derzeit offenen politischen Klima Ägyptens wittern auch sie ihre Chance und verleihen ihren radikalen Forderungen zunehmend lautstark Ausdruck. Laut «Daily News Egypt» verlangten sie vergangene Woche in einem Dorf südlich von Kairo die Schliessung eines Spirituosengeschäfts. Bei den anschließenden Unruhen kam eine Person ums Leben und acht wurden verletzt.
Angesichts wachsender Verunsicherung sowohl in Ägypten als auch im Westen versuchte der ägyptische Großmufti Ali Gomaa in einem Gastbeitrag in der «New York Times» die Wogen zu glätten: «Die religiöse Tradition Ägyptens basiert auf einer gemässigten, toleranten Auslegung des Islams», schrieb Gomaa. Gleichzeitig hielt er fest, dass Ägypten eine tief religiöse Gesellschaft sei und der Islam auf jeden Fall eine Rolle in der demokratischen Ordnung des Landes spielen werde: «Religion kann nicht völlig von Politik getrennt werden, aber wir werden sicher stellen, dass sie nicht für politische Zwecke missbraucht wird.»
Referendum für die Islamisten?
Die Abstimmung über die Teilrevision der ägyptischen Verfassung im vergangenen März könnte bereits ein Referendum über die Zukunft des Islamismus im Land der Pharaonen gewesen sein. Die liberalen Kräfte hatten sie abgelehnt, weil sie die Zeit bis zu den Parlamentswahlen im September für zu knapp halten. Sie glauben die bereits gut organisierten Muslimbrüder sowie die National-Demokratische Partei Mubaraks würden davon profitieren. Abgesehen vom Zeitplan gerieten Liberale und Islamisten aber auch wegen einem konkreten Verfassungsartikel aneinander, der den Islam betrifft.
Artikel 2 der alten Verfassung von 1971 erklärte den Islam zur Staatsreligion, 1980 wurde in einem Zusatz die Scharia als Grundlage des ägyptischen Rechts festgelegt. Die Islamisten befürchteten im Fall einer Totalrevision der Verfassung, dass Artikel 2 gestrichen und Ägypten ein säkularer Staat werden könnte. Also setzten sie sich dafür ein, dass die Teilrevision angenommen wird, denn sie behält Artikel 2 unverändert bei. Die liberalen Kräfte hingegen verlangten eine Änderung von Artikel 2, der von den Islamisten als Rechtfertigung für die Errichtung eines islamischen Staates missbraucht werden könnte. In welchem Ausmass das ägyptische Stimmvolk sich von solchen Überlegungen leiten liess, ist nicht bekannt. Aber über 77 Prozent stimmten mit den Muslimbrüdern für die Teilrevision.
Damit ist der Weg frei für die Parlamentswahlen im September. Wie stark die Islamisten in Ägypten wirklich sind, wird sich dann erstmals zeigen. Bruchstücke sind heute bereits erkennbar und lassen nichts Gutes erahnen.
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