Die 37 Insassen des A320 von Moskau nach Damaskus dürften sich am Mittwoch beim Blick aus dem Fenster ungläubig die Augen gerieben haben: In unmittelbarer Nähe flogen Kampfjets parallel zu ihrem Airbus. Als sie auf der Höhe der Cockpitfenster des Passagierflugzeuges angelangt waren, wackelten die Militärpiloten mit den Tragflächen ihrer F-16.
Ein kleines und äusserst seltenes Manöver, aber von höchster Bedeutung. Es ist die Aufforderung zur unplanmässigen Landung, ein Befehl, dem sich kein Pilot widersetzen sollte. Selbst erfahrene Flugkapitäne wie der Sprecher der Vereinigung Cockpit in Deutschland, Jörg Handwerg, haben so etwas noch nicht erlebt. Aber sie kennen die Regeln. Sie sehen so aus: «Erst fliegen sie parallel zu dem Passagierflieger, dann wackeln sie mit den Tragflächen. Das ist die Aufforderung zur Landung», sagte Handwerg der dapd. Der Befehl könne gleichzeitig per Funk ausgesprochen werden.
Darf man sich auch weigern? Lieber nicht
Der Zivilpilot sollte umgehend bestätigen, «dass er ihn verstanden hat und befolgen wird, indem er selbst mit den Tragflächen wackelt», sagte Handwerg. Anschliessend erhalte der Pilot per Funk Anweisungen, wo er zu landen habe und wie er dorthin komme.
Und wenn er nicht zurückwackelt? «Möglicherweise werden dann Warnschüsse abgegeben, aber davon bekommt der Zivilpilot kaum etwas mit», sagt Handwerg. Ob dann scharf geschossen wird, lässt er offen. Die Frage berührt eine seit dem 11. September 2001 auch in zahlreichen Ländern Europas umstrittene Frage: Darf ein Zivilflugzeug mit unschuldigen Passagieren abgeschossen werden, etwa wenn es in der Gewalt von Terroristen auf ein Hochhaus oder ein Atomkraftwerk zufliegt?
Widerspruch gegen die Anweisung ist rechtlich nicht vorgesehen. Der Luftraum über der Landmasse eines souveränen Staats gehört unumstritten zu dessen Hoheitsgebiet. Rechtlich hat ein Land also alle Möglichkeiten, ein Luftfahrzeug eines anderen Landes zu Kontrollzwecken zur Landung zu zwingen, auch wenn das Chicagoer Abkommen von 1944 dem zivilen Luftverkehr viele Freiheiten einräumt. Es ist sozusagen die globale Verfassung der Zivilluftfahrt. So darf ein kommerzielles Flugzeug eines jeden der 190 Signatarstaaten – Syrien, Russland und die Türkei gehören dazu – ohne besondere Abkommen auf seinem Weg von A nach B über das Land C fliegen und sogar dort zu technischen Zwecken landen, etwa zum Tanken.
Der GAU für die Zivilluftfahrt kam 1983
Schon vor den 9/11-Terroristen sorgte die Sowjetunion am 1. September 1983 über dem Ochotskischen Meer für den GAU in dieser Frage, als sie einen Jumbo Jet der Korean Air abschoss, der ungenehmigt und angeblich auch unbeabsichtigt über militärische Sperrgebiete der Roten Armee geflogen war. Alle 269 Insassen kamen dabei ums Leben.
Deswegen wurde 1984 ein Zusatz in das Chikagoer Abkommen eingefügt, in dem die Vertragsstaaten sich zum Verzicht auf die Anwendung von Waffen gegen fliegende Zivilluftfahrzeuge verpflichten. Dennoch ist jeder Staat berechtigt, die Landung eines zivilen Flugzeuges zu verlangen, wenn ausreichende Gründe vorliegen, dass es zu Zwecken benutzt wird, «die mit den Zielen dieses Abkommens unvereinbar sind». Um den zivilen Charakter zu wahren, sieht das Abkommen vor, dass Kriegsgerät nur mit Erlaubnis des überflogenen Staates mitgeführt werden dürfen.
Lächeln statt wackeln
Was Kriegsgerät ist, bestimmt der überflogene Staat. Dementsprechend ist die Aussage des türkischen Aussenministers Ahmet Davutoglu zu werten, der am Mittwochabend als Begründung für den Zwischenfall angab, es seien Teile gefunden worden, «die bei Zivilflügen nicht erlaubt sind».
Übrigens muss es nichts Unangenehmes bedeuten, wenn Flugzeugpassagiere beim Blick aus dem Fenster einen Kampfjet des überflogenen Landes in wenigen Metern Entfernung sehen. Es gilt als freundschaftliche diplomatische Geste, einen einfliegenden oder überfliegenden hohen ausländischen Repräsentanten mit Kampfjets sicher durch das Hoheitsgebiet zu leiten. In der Regel lächeln die Militärpiloten dann erkennbar zum Regierungsflieger hinüber, anstatt mit den Tragflächen zu wackeln.
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