Bis Arshad Khan über Nacht zum Schwarm Hunderttausender Mädchen und Frauen wurde, hatte er wenig Glück im Leben. Geboren wurde er vor 16 Jahren in einem Lehmhaus ohne Strom am Stadtrand der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. So erzählt er es. Zur Schule ist er nie gegangen, denn die Jungen in der Familie mussten helfen, den Vater, zwei Mütter und 17 Kinder zu ernähren. Zuerst hat er Früchte verkauft, später ist er Chaiwala (sprich tschaiwala) geworden. Das sind Jungen, die in Haushalten, Büros oder an Straßen Tee kochen und verkaufen. Tee – in Pakistan dicklicher Milchtee – hält die Nation am Laufen. Aber Chaiwalas leben elend. Wenn sie Glück haben, verdienen sie 500 Rupien (4 Euro) am Tag.
16 Jahre alt sei er, erzählt Khan. Aber Altersangaben sind in Pakistan mit Vorsicht zu genießen. Millionen Kinder werden bei der Geburt nicht registriert und wissen zeitlebens nicht, wie alt sie wirklich sind. Dass Khan hübsch ist, mit blauen Katzenaugen, einer geraden Nase und einem adretten, typisch pakistanischen Schnurrbart, das schien niemandem so recht aufgefallen zu sein. Die Leute, da wo er arbeitet, hatten andere Probleme.
Heißer Tee
Aber gegen Mitte vorvergangener Woche spaziert dann eine pakistanische Fotografin über den Itwar-Basar in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad und findet, Khan und seine Teekanne seien doch ein nettes Motiv. Khan schaut sehr männlich in die Kamera, souverän, ruhig, unter ernsten Brauen hervor, das Blau der Augen verstärkt durch ein blaues Hemd, das dichte Haar wie frisch gefönt.
Die Fotografin postet das Foto auf der Online-Fotoplattform Instagram mit der Bemerkung «Heißer Tee» samt Augenzwinker-Icon – und innerhalb von zwei Tagen wird #chaiwala ein Top-Trend in den sozialen Medien. Nicht nur in Pakistan mit seinen rund 200 Millionen Einwohnern, sondern auch im Milliarden-Menschen-Nachbarland Indien.
Erschöpft und ungelenk
Nur wenige Tage später stehen dann TV-Teams und Geschäftsleute Schlange bei Arshad Khan. Ein Freund wird zum Medienmanager ernannt, der muss das Telefon abheben. Die ersten Interviews finden noch an dem Markt-Teestand statt, wo Khan angestellt ist – eine offene Hütte auf gestampftem Boden unter einem Baum, ein Feuer, ein Sammelsurium verbeulter Blechtassen und ein Kessel mit der Suppe aus Wasser und Milch mit Schwarzteeblättern.
In einem der Interviews, mit dem Sender Dunya TV, schaut Khan nicht mehr so souverän und ernst drein. Das Haar fällt ihm in erschöpften Wellen ins Gesicht, die Augen sind leicht verwirrt, er wirkt schüchtern und ungelenk. Ein besonders schneller Geschäftsmann hat ihn schon vor die Kamera gezerrt, für Werbebilder. Khan in westlicher Männermode ist da zu sehen und die Zeile: «Chaiwala ist nicht mehr Chaiwala, sondern Fashion-Wala!» Aus einem, der mit Tee zu tun hat, wird einer, der mit Mode zu tun hat. Es ist ein Bollywood-Plot, eine exotische, geschlechterverdrehte Aschenputtel-Geschichte. Aber sie verschafft auch der sonst oft ignorierten Armut im Land ein Gesicht.
Modelvertrag
Ein paar kritische Stimmen sind auch dabei in der Welle der Medienberichterstattung: über die sexuelle Objektifizierung eines 16-Jährigen, über die «Entdeckung, dass arme Menschen auch Menschen» sind. «Da ist offensichtlich Überraschung, dass ein Tee-Boy so gut aussehen kann. Als ob Attraktivität ein Vorrecht der Privilegierten ist», schreibt spöttisch eine Kommentatorin in der Zeitung «Dawn».
Trotzdem, nun wollen alle ein Stück vom jungen Teeverkäufer. Am Dienstag bekommt Khan einen Modelvertrag angeboten, am Mittwoch sind es Werbeverträge, Ende der Woche Filmverträge. «Ich habe Angebote von Bonanza (größte Bekleidungsfirma in Pakistan), Milli Schuhe and Tapal Tee», sagt Khan in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
«All das fühlt sich an wie in einem Traum», meint er. «Ich weiß nicht, wie das alles kam, aber ich habe angefangen, es zu genießen.» Bisher lebt er noch in einem Lehmhaus im Slum-Viertel Golra. Im Hintergrund sitzen am Boden in einer großen Runde Bewunderer und geschäftstüchtige Menschen. Die Filmleute wird Arshad Khan enttäuschen. Schauspielern! Das sei gegen die paschtunische Kultur und Tradition, sagt er schockiert. Was immer er nun anfange mit dem neuen Ruhm – ehrenhaft soll es sein.
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