Veränderungen in einer Reihe von Genen haben den Kormoran der Galapagosinseln im Laufe der vergangenen zwei Millionen Jahre flugunfähig gemacht. Sie sorgten dafür, dass die Vögel heute statt kräftiger Schwingen nur stummelige Flügelchen haben. Die Mutationen betreffen unter anderem Gene, die beim Menschen mit der Entwicklung des Skeletts und der Gliedmaßen in Verbindung stehen, berichten Wissenschaftler aus den USA und aus Chile im Fachmagazin «Science».
Flugunfähige Vogelarten gibt es einige – man denke an Strauße, Emus, Kiwis und natürlich Pinguine. Trotz der Häufigkeit des Phänomens ist über seine genetischen und molekularen Grundlagen noch wenig bekannt, schreiben Alejandro Burga von der University of California und seine Mitarbeiter. Sie verglichen das Erbgut des auf den Galapagosinseln vorkommenden Kormorans (Phalacrocorax harrisi) mit dem von drei fliegenden Kormoran-Arten.
Die auf den Galapagosinseln Isabela und Fernandina lebende flugunfähige Art heißt im Deutschen Galapagosscharbe – oder auch Stummelkormoran. Damit ist sein Äußeres in aller Kürze recht treffend beschrieben: Die Flügel des Vogels sind zu zwei Stummeln verkürzt. Auch seine Brustmuskeln sind unterentwickelt, einige andere Körpermerkmale verändert.
Abwesenheit von Fressfeinden
Die Analyse des Erbguts zeigte nun, dass bei diesem Vogel eine Reihe von Genen mutiert ist, die mit der Bildung und Funktion von Cilien in Verbindung stehen. Cilien sind haarähnliche Ausstülpungen auf Zellen, die etwa für die Kommunikation der Zellen untereinander notwendig sind. Beim Menschen sind eine Reihe von Erkrankungen bekannt, die auf Veränderungen der Cilien zurückgehen.
Sie werden Ciliopathien genannt und können unter anderem zu Entwicklungsstörungen der Gliedmaßen führen, etwa zur Ausbildung zu vieler Finger oder Zehen oder zur Verwachsung derselben. Häufig sind auch andere Organe wie etwa die Niere oder das Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen.
Ob beim Kormoran vergleichbare Veränderungen auftreten oder spezifisch die Bildung der Gliedmaßen betroffen ist, müssten weitere Studien zeigen, schreibt Kimberly Cooper von der University of California in einem Kommentar zu der Studie. Die Untersuchung der Auswirkungen solcher Mutationen auch bei anderen Tier- oder Pflanzenarten werde dazu beitragen, noch mehr Geheimnisse der Evolution zu enträtseln.
Stummelflügel sind von Vorteil
Der Evolutionsbiologe Charles Darwin (1809 – 1882) sah in der Entwicklung von Flugunfähigkeit bei Vögeln einen Beleg für seine Theorie der natürlichen Selektion. Dieser Theorie zufolge überleben stets diejenigen Vertreter einer Art, die an die jeweils vorherrschenden Umweltbedingungen am besten angepasst sind.
Fehlen in einem Lebensraum etwa Feinde, vor denen man rasch fortfliegen muss, kann es sich auszahlen, auf die Bildung von imposanten Flügeln zu verzichten – sie stören nämlich nur beim Tauchen auf der Jagd nach Futter.
Vögel, die aufgrund von genetischen Mutationen nur Stummelflügel ausbilden, sind dann nicht im Nachteil, sondern im Vorteil. Ihre Überlebenswahrscheinlichkeit steigt, sie produzieren mehr Nachkommen, an die sie ihre Mutationen weiterreichen – bis sich das Merkmal im Laufe von Jahrmillionen der Evolution in der Population durchsetzt.
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