Headlines

Von Vemma zu Jeunesse Global

Von Vemma zu Jeunesse Global

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Seit "Vemma" wegen seines Geschäftsmodells vor Gericht steht, laufen die Anhänger der YPR-Jugendbewegung zu "Jeunesse Global" über - auch hier in Luxemburg. Was steckt dahinter?

Vor einem Jahr berichtete das Tageblatt erstmals exklusiv in Luxemburg über die Aktivitäten der US-amerikanischen Firma Vemma. Mit leuchtenden Energydrink-Dosen („Verve“) hatte das Multilevel-Marketing-
Unternehmen Anfang 2014 Jugendliche angeworben, die sich somit als sogenannte Affiliates der Firma ein stattliches Nebeneinkommen verdienen konnten.

Hauptprodukt von Vemma sind Energy-Drinks und Nahrungsergänzungsmittel. Diese Produkte werden von den Kunden gekauft, können aber nicht von ihnen weiterverkauft werden. Die Produkte dienen also alleine dem Werbezweck und Eigenverbrauch. Bezahlt wird der fleißige Vemma-Mitarbeiter, wenn er eine gewisse Anzahl an neuen Rekruten aufzuweisen hat, die „demnach unter ihm arbeiten“.

Was ist erlaubt?

Gesetzlich erlaubt ist jedweder Bonus, der anhand des Erlöses von Produktverkäufen errechnet und ausgezahlt wird (z.B. Tupperware und Miss Captain). Kritisch wird es, wenn Boni anhand der Anzahl von rekrutierten Vertretern verteilt werden, dies fällt dann unter die Definition eines Pyramidensystems, das in vielen Ländern illegal ist (z.B. Vemma).

Zu den Jeunesse-Produkten:

Klinisch getestet, nur exklusiv über Vertreter erhältlich und auf einer stabilen, mit dem „Nobelpreis ausgezeichneten Wissenschaft“ (Stammzellenforschung) basierend, sind die Anti-Aging-Cremes und -Gelees von Jeunesse angeblich kleine Wundermittelchen. Mit optimalen Inhaltsstoffen soll der menschliche Körper durch den Konsum der Produkte zur eigenständigen Regeneration angeregt werden und so die Zellschädigung inklusive Alterungsprozess verlangsamen.

Einige Jahre schaffte es Vemma, von den Augen der Justiz ungesehen zu arbeiten. Nicht zuletzt aber durch kritische Beiträge auf Internetseiten wie www.truthinadvertising.org (TINA.org) wurde die „Federal Trade Commission“ in den USA aufmerksam auf die nicht ganz legalen Machenschaften von CEO Boreyko und seinen Anhängern.

Durch die Gerichtsaffäre von Vemma sind sogenannte Network-Marketing- oder Multilevel-Marketing-Firmen (MLM) in den letzten Monaten in die Öffentlichkeit gerückt. Auch der Wechsel vieler Vemma-Affiliates zu neuen, noch juristisch unbelasteten Firmen blieb nicht unentdeckt. Im Gegenteil: Im Internet häufen sich Berichte über Biostrike, Solidmind Nutrition: Focus, Nerium International und Co. Auf Facebook hat sich insbesondere eine Seite für die Entlarvung des illegalen Systems solcher Firmen starkgemacht: „Vemma – NEIN Danke“ postet täglich neue Artikel und Insider-Screenshots der Aktivitäten des Unternehmens.

„Vemmaten“ konvertieren zu „Jeunesse Global“

Auch die Luxemburger „Vemmaten“ sind ihrer Firma nun „fremdgegangen“. Jeunesse Global – so heißt die neue Marke, die in Zukunft zum großen Geld verhelfen soll. Seit 2009 schon besteht das Network-Marketing-Unternehmen, das sich auf Anti-Aging-Produkte und revitalisierende Nahrungsergänzungsmittel spezialisiert hat. Eine halbe Million Vertreter hat sich das Gründerpärchen Randy Ray und Wendy Lewis bereits in rund 215 Ländern angelächelt. Ihr sogenanntes „Youth Enhancement System“ (YES) scheint zu funktionieren. Doch aufgepasst: Bei näherem Betrachten lassen sich interessante Parallelen zwischen Jeunesse Global und Vemma finden. Genau wie Boreyko musste sich CEO Randy Ray – auch bekannt als Ogale Erandal Ray – bereits mehrfach vor Gericht verantworten. Hauptanklagepunkt: „falsche und irreführende Werbung“ ebenso wie „Förderung von pyramiden-ähnlichen Clubs“.

Ungeachtet der Kritik bereiten die Jeunesse-Vertreter bereits seit zwei Monaten ihr großes „Coming-out“ in der Luxemburger Gesellschaft vor. Aus den zwei existierenden Vemmaten-Teams im Norden und Süden des Landes hat sich die Mehrheit dieser neuen Firma angeschlossen. Um die 100 Leute sind mittlerweile ins Jeunesse-Netzwerk eingestiegen, einige aus dem Norden haben sich einem anderen Unternehmen gewidmet. Zweimal wöchentlich, am Dienstag und Donnerstag, treffen sich die „Jeunessler“ in einem Schönheitssalon in Ehleringen, samstags finden größere Meetings mit potenziellen erwachsenen Kunden statt.

Neue Firma, aber dieselben Anhänger

Im Vordergrund steht die Rekrutierung neuer Vertreter, denn es geht – genau wie bei Vemma – um den Aufbau neuer Kontakte. Die Frage, ob es sich bei der Strategie nicht wieder um ein illegales Pyramidensystem handelt, wird von den „Jeunesslern“ mit kollektivem Kopfschütteln verneint.
Vertreter kann jedenfalls jeder werden – vorausgesetzt, man investiert genug Zeit … und Geld. Die Produkte sprechen vor allem eine Klientel ab 35 Jahren an, als Vertreter haben sich CEO Randy und seine Frau jedoch die jüngere Generation ausgewählt.
Ein seriöses Konzept, das zu einem stattlichen Taschengeld verhelfen soll – so wird Interessierten die Marketingstrategie von Jeunesse Global vorgestellt. Hauptaugenmerk: ganz klar die Produkte. Mehr Konzentration, mehr Leistungsfähigkeit, weniger Augenringe und Falten – all das verspricht das patentierte Serum („die Creme des 21. Jahrhunderts“) rund um die Sparte „Instantly Ageless“.

Das Rezept hinter dem Riesenerfolg der Network-Marketing-Firma ist simpel: Wer sein Umfeld dazu bringt, die Produkte zu konsumieren, der verdient sich eine goldene Nase. Helfen tun hierbei sicherlich auch die Professionalität, mit der Jeunesse-Vertreter neue Mitglieder anwerben, sowie ihr angesammeltes Fachwissen über Zellerneuerung und das „Business“.

Ihre Strategie geht anscheinend auf: Junge Unternehmenslustige fühlen sich von den Aussagen angesprochen und folgen den mittlerweile gutverdienenden „Leadern“. Unter den Hashtags #youngprofessionals (junge Geschäftsleute) und #yprallaccess (Young Pros Revolution) werden auf Facebook kräftig Sprüche über Erfolg und Teamwork gepostet. Markiert wird nur, wer sich der entsprechenden Bewegung angeschlossen hat.

#YPR – Young Pros Revolution

Wer nun glaubt, die Buchstaben „YPR“ schon einmal gelesen zu haben, der hat recht: Genau mit derselben Abkürzung forderte noch vor einigen Monaten Vemma Jugendliche dazu auf, aktiv zu werden und sich ein unabhängiges Einkommen zu verdienen. Die selbsternannte Jugendbewegung lebt also in der neuen Firma weiter, auch wenn sich laut öffentlichen Facebook-Posts die Mentalität geändert hat. Vemma habe sich einen zu negativen Ruf angelegt, und man könne sich dort kein Business mehr aufbauen, heißt es seitens der Überläufer. Jetzt arbeite man nur noch mit professionellen Leuten – die Tage von „fetten Luxuskarren“ und dem „Gangster-Image“ seien gezählt. „Wir haben aus unseren Fehlern gelernt“, behaupten Jeunesse-Vertreter kollektiv, werden sie auf das Thema angesprochen.

Trotz Kritik am Verlauf des Vorgängerunternehmens sind sich die „Ex-Vemmaten“ in einem jedoch einig: „Vemma wurde vor Gericht gestellt, aber nicht für schuldig befunden. Boreyko hat den Prozess definitiv gewonnen.“ Stimmt nicht ganz, bedenkt man die Auflagen und Einschränkungen, unter denen der CEO seit dem 18. September seine Firma weiterführen darf. Privater- sowie Firmenbesitz dürfen nicht veräußert werden, Affiliate-Boni sind passé und der Schwerpunkt der Firmenaktivität muss von nun an bei reellen Produktverkäufen liegen, und nicht mehr bei der Rekrutierung neuer Vertreter.

Seitdem im August alle Aktivitäten von Vemma provisorisch eingefroren wurden, gab es keine Auszahlungen an Affiliates mehr, Vemma Australien und Europa wurden dann am 2. Oktober komplett liquidiert. Dies sind wohl nur einige der Gründe, weshalb sich die treuen „Vemmaten“ dann doch lieber ein neues Unternehmen gesucht haben. Bei Jeunesse Global klappt das Geschäft bisher jedenfalls gut.

Klarer Vorteil gegenüber Vemma: Die Firma arbeitete in den letzten sechs Jahren hauptsächlich in Asien und Amerika, hier in Europa ist sie noch weitestgehend unbekannt. „Network Marketing ist noch ein Fremdwort für viele Menschen, das ist gut. Sie sehen nicht das riesige Business hinter den Produkten und wie viel Geld wir rausholen können“, so die Aussage eines Jeunesse-Vertreters. Wie lange diese Rechnung noch aufgehen wird, wird sich zeigen. Kritiker zweifeln jedoch nicht daran, dass Jeunesse seinem Vorgänger Vemma schon in einigen Jahren ins Aus folgen wird.

Frustration beim Konsumentenschutz

In mehreren Ländern hat sich der jeweilige Konsumentenschutz bereits für die Einschränkung der Vemma-Aktivitäten starkgemacht, so zum Beispiel in Österreich und der Schweiz. In Italien regnete es sogar Geldstrafen. In Luxemburg blieb es bisher ruhig – ganz zum Unmut vom PR-Verantwortlichen Jean Feyereisen der ULC („Union luxembourgeoise des consommateurs“): „Auf Anfragen beim zuständigen ‹ministère de l’Economie› wurde uns gesagt, das Dossier gebe nicht genug her.“

Auch nach Versammlungen mit den betroffenen Jugendhäusern, die sich über Rekrutierungsversuche der „Vemmaten“ in ihren Räumlichkeiten beschwert hatten, wurde nichts weiter unternommen. Die Frustration bei der ULC ist groß, man fühle sich von den Behörden im Stich gelassen, betonte Feyereisen in seiner E-Mail. „Die Gutgläubigkeit vieler Leute ist schlicht und einfach erschreckend. Wer großjährig ist und bei Firmen wie Vemma mitmacht, kann in Schwierigkeiten bezüglich Steuern, Handelsermächtigung, TVA-Nummer usw. geraten“, warnte der Verantwortliche.

In der Tat wussten die CEOs von pyramidalen MLM-Unternehmen sich bisher geschickt aus geschäftsschädigenden Anschuldigungen herauszuschlingeln. Für Vemma ist der Schuss schlussendlich doch nach hinten losgegangen, und trotzdem: Die Ex-Affiliates halten weiter an ihrer Überzeugung fest, mit dem nötigen Geschick, das ganz große Geld zu machen.

Mehr zu Vemma:


Schneeballsystem: Vemma vor Gericht

Vemma in Luxemburg: «Macht gesund und reich»