Er selbst musste jedes Mal weinen, wenn er die Texte las. Acht Iraker erzählen in Briefen erschütternde Geschichten von Liebe, Hoffnung und Verlust. Der Komponist Rahim AlHaj, selbst im Irak geboren, bearbeitete die emotional geschilderten Erlebnisse aus den Jahren seit der amerikanischen Invasion im Jahr 2003 auf seine eigene Art.
Herausgekommen ist eine Musik, die viele Menschen in seiner neuen Heimat USA zutiefst bewegt.
Das Album «Letters from Iraq» («Briefe aus dem Irak») wird im kommenden Monat von dem unabhängigen Plattenlabel Smithsonian Folkways veröffentlicht. Doch schon jetzt ist AlHaj in Nordamerika auf Tournee. «Ich fühlte mich verpflichtet, etwas aus diesen Geschichten zu machen», sagt der Musiker in einem Telefoninterview mit der Nachrichtenagentur AP vor einem Auftritt im Arab American National Museum in Dearborn bei Detroit. «Es muss gehört werden – es muss wahrgenommen werden», sagt er. «Das ist es, was die irakische Bevölkerung in dieser Phase durchmachen musste.»
Bagdad
In einem Song geht es um einen Teenager, der auf dem Heimweg ist, und dann mit ansehen muss, wie das Haus seiner Familie von einer Autobombe zerstört wird. Seine Brieftauben fliegen in die Höhe und haben ab sofort keinen Ort mehr zum landen. Damit verliert er zugleich den Vorwand, unter dem er bisher seine Freundin sehen konnte: Während sie die Wäsche aufhängte, hatte er sich um die Vögel gekümmert. In einem anderen Song geht es um einen Mann aus Bagdad, der nach einiger Zeit im Exil in seine Heimat zurückkommt – dort dann aber einen Ort vorfindet, an dem er sich nicht mehr zu Hause fühlt.
Und dann ist da ein Brief, der von dem Neffen Fuad geschrieben wurde. Der war es, der AlHaj auf die Idee zu dem musikalischen Projekt brachte. Fuad, damals ebenfalls ein Teenager, saß gerade beim Friseur, als ganz in der Nähe eine Bombe explodierte und Aufständische das Feuer eröffneten. Detailliert beschreibt er das Grauen und das Blutbad um ihn herum. Am Ende schreibt er, was für ein schöner Tag es eigentlich gewesen war.
Über Fuad habe er von dessen Freund Rijadh, dem Jungen mit den Tauben, gehört, erzählt AlHaj, der das traditionelle irakische Saiteninstrument Oud spielt. Bei einem Besuch im Irak habe er dann weitere Briefe gesammelt. Dabei sei ihm bewusst geworden, dass dies Geschichten seien, die er aufgreifen müsse, weil sie sonst niemals für ein größeres Publikum zugänglich werden würden.
«Geheilt»
Ursprünglich habe er vorgehabt, die Briefe in Lesungen vorzutragen, sagt AlHaj. Doch am Ende sei ihm eine umfassendere künstlerische Bearbeitung angemessener erschienen. Also habe er begonnen, Instrumentalmusik für Oud, Geige, Bratsche, Cello, Bass und Percussion zu komponieren. Dies sei seine Art, die Erzählungen zu «übersetzen». «Das ist wirklich eine Herausforderung, weil es abstrakt ist – es sind keine Wörter mehr, aber die Menschen verstehen es», sagt der Musiker. Kürzlich bei einem Konzert in Seattle hätten mehrere Zuhörer Tränen in den Augen gehabt, darunter eine Frau, die im Anschluss auf ihn zugekommen sei. «Sie nahm ihren Schal und legte ihn mir um den Hals», sagt er. «Sie umarmte mich und sagte: ‹Danke, dass du mich geheilt hast.'»
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