Samstag13. Dezember 2025

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«Unser Land wird nicht so schnell verdampfen»

«Unser Land wird nicht so schnell verdampfen»
(Reuters)

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Am Donnerstag ist belgischer Nationalfeiertag, dann feiert das Land die Vereidigung seines ersten Königs Leopold I. Was geht den Belgiern am Feiertag durch den Kopf?

Obwohl, oder gerade weil ihr Königreich gerade auseinanderzubrechen droht, ist der Nationalfeiertag für Karin Breuer (42) und Ursel Biel-Breuer (72) ein echter Feiertag. Die beiden Damen falten Papierservietten, ziehen bunte Fähnchen auf dünne Stangen und organisieren die große Party auf dem Werth-Platz vor dem Stadtzentrum von Eupen.

Hintergrund
In der deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) im Osten Belgiens leben rund 70 000 Menschen. Die Minderheit hat eine eigene Regierung, ein Parlament und einen Ministerpräsidenten sowie einen öffentlichen Radio- und Fernsehsender. Die deutschsprachigen Gebiete um Eupen und St. Vith waren Belgien nach dem Ersten Weltkrieg zugesprochen worden. Etwa 60 Prozent der knapp elf Millionen Belgier spricht Niederländisch als Muttersprache, etwa 40 Prozent sind frankophon aufgewachsen.
dpa

Einen Rummel und Imbissbuden wird es geben, eine Stelzen-Gruppe aus den Niederlanden, und, wenn es auf Mitternacht zugeht, ein großes Feuerwerk. «Und dann wird die Nationalhymne gespielt», sagt Breuer, «die Brabançonne. Da warten alle drauf, und dann sieht man wieder, wenn alle so gebannt gen Himmel schauen und der Brabançonne lauschen, wie sehr man doch Belgier ist, hier in der Region. Auch wenn wir uns ganz deutlich als deutschsprachige Belgier fühlen, wir sind doch sehr Belgier.»

Staatsfeind De Wewer

Rund 70.000 deutschsprachige Belgier gibt es, ihr Gliedstaat liegt ganz im Osten, an der Grenze zu Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden. Und die Staatskrise, die ihr Land nun seit mehr als 400 Tagen lähmt, der Streit zwischen den großen Gruppen der Niederländisch sprechenden Flamen im Norden und den frankofonen Wallonen im Süden, der bedrückt die Deutschsprachigen besonders. Manche von ihnen bezeichnen sich als «die besten Belgier», denn ihnen liegt das Land und seine Einheit am Herzen. Auch weil ihnen klar ist, dass sie kaum alleine überleben würden. Bei ihnen ist noch echter Patriotismus zu spüren.

Ihr größter Feind im eigenen Land, das ist Bart De Wewer, Chef der Neuen Flämischen Allianz (NVA). Im Parteiprogramm steht die Abspaltung Flanderns. Mit dem Versprechen, dem reichen Norden mehr Autonomie zu verschaffen und die Transferleistungen in den armen Süden zusammenzustreichen, ist er zum populärsten Politiker der Flamen geworden. Einen jüngst vorgebrachten Kompromissvorschlag des wallonischen Sozialisten Elio Di Rupo für eine Staatsreform schmetterte De Wewer ab, ernsthafte Koalitionsverhandlungen gibt es nicht. De Wewers Vision: Die Außen- und Verteidigungspolitik tritt Belgien an die EU ab. Neben der Kultur, der Bildung und dem Sozialen erhalten die Gliedstaaten auch die Zuständigkeit für Steuern und Wirtschaft. Und das föderale Belgien «wird irgendwann von selbst verdampfen».

Der Euro stabiler als Belgien?

«Ich glaube nicht, dass unser Land so schnell verdampft», sagt Breuer. Aber was ist es, was die verschiedenen Belgier noch zusammenhält? Gibt es eine belgische Seele? Ursel Biel-Breuer denkt eine Weile nach, dann fällt ihr doch eine Menge ein. «Der Hang zur Gemütlichkeit, der Hang zum guten Essen», sagt sie, mit knarzender Stimme, und meint es nicht als Floskel. «Im Allgemeinen, das soll man jetzt im Augenblick nicht glauben, sind wir Belgier Leute, die sich sehr einfach untereinander verstehen. Im Augenblick haben wir eine Situation, wo es nicht so scheint, aber für den Großteil ist es noch so. Und eine gewissen Offenheit dem Neuen gegenüber.» Irgendwann werde es einen Ausweg aus der Krise geben. «Auch das gehört zur Mentalität der Belgier, dass man irgendwie eine unorthodoxe Lösung findet.»

Rudi Schroeder, Chefredakteur des Belgischen Rundfunks BRF, ist sich da nicht so sicher. «Der Euro hat vielleicht noch eher eine Zukunftsperspektive als Belgien», sagt er. Im Regieraum hinter ihm flimmern die letzten Nachrichten aus Brüssel über die Bildschirme. Von den Vorbereitungen für die große königliche Parade durch die Hauptstadt und von den Verhandlungen der Eurozone um die Griechenland-Rettung. Böse Zungen behaupten, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, auch er ein Belgier, habe extra am Donnerstag zum Euro-Krisengipfel geladen, um sich den peinlichen Nationalfeiertag zu ersparen.

Traum vom «Belgien zu viert»

Schroeder sagt, früher habe es noch deutlich mehr menschliche Annäherungen zwischen den politischen Streithähnen der Flamen und Wallonen gegeben. «Da wurde manches auch einfach mal bei einem Essen geregelt, oder in informellen Gesprächsrunden.» Inzwischen sei das Szenario, dass es wirklich nicht mehr funktioniert, «schon wirklich realistisch. Mit jedem Tag der Krise werden nicht nur meine Bauchschmerzen größer.»

Die tiefe Kluft spürt er täglich, und er führt sie auf die Sprache zurück. Selbst bei den Fußballübertragungen, die der BRF von den wallonischen und flämischen Schwestersendern übernimmt. «Wer ein Spiel der Nationalmannschaft ansieht, will das in seiner Sprache sehen und kommentiert bekommen. Und da schaut man in Flandern, ob auch die flämischen Spieler eingewechselt werden, ob der Trainer ein Flame ist, wie er sich politisch positioniert, das spielt natürlich eine Rolle.»

Staatskrise ist eine Chance

Karl-Heinz Lambertz erfüllt die gemeinen Erwartungen an einen Belgier genau: Er ist offenherzig und gemütlich, ihm ist die Freude an gutem Essen anzusehen, und er glaubt an Lösungen. Seit zwölf Jahren ist Lambertz Ministerpräsident der Deutschsprachigen, und er sieht die Staatskrise auch als Chance. Denn seine Gemeinschaft, obwohl sie nur 0,7 Prozent der belgischen Bevölkerung stellt, könnte am Ende profitieren. Wenn die Gliedstaaten mehr Autonomie bekommen, dann auch seine Region um Eupen. Auch er findet, dass die Wallonen die Reform zu lange blockiert haben, und teilt De Wewers Ärger darüber. Aber statt auf Spaltung hofft er auf ein «Belgien zu viert», mit der Wallonie, Flandern, Brüssel und der Deutschsprachigen Gemeinschaft als «gleichberechtigten Partnern».

Auf eine Zukunft ohne Belgien bereitet er sich offiziell zwar nicht vor. Die Auseinandersetzung mit dem Thema hat aber längst begonnen. «Wir könnten uns dem Schicksal des einen oder anderen Landesteiles anschließen, oder wir lösen uns ganz aus dem belgischen Verbund heraus und suchen unser Glück etwa im Verband mit Nachbarstaaten wie Deutschland oder Luxemburg», mutmaßt Lambertz. Selbst ein Dasein als Kleinstaat könnte man am Ende für die beste Lösung halten, schließlich sei das in der europäischen Gegenwart ja auch kein Unikum.

Vermittler ohne Erfolg

Vor drei Jahren war Lambertz selbst königlicher Vermittler, ohne Erfolg. Jetzt würde er die Rolle nicht noch ein Mal übernehmen, jetzt müssten sich Flamen und Wallonen selbst zusammenraufen. «Es gibt kaum etwas, was für die Lösungsfindung noch unbekannt wäre», sagt er. «Es geht einfach darum, ein Puzzle zusammenzusetzen, mit dem alle Seiten leben können.»

Zum Nationalfeiertag wird Lambertz nach Brüssel reisen. Mit dem König dem traditionellen Te Deum in der Kathedrale beiwohnen und so tun, als gäbe es etwas zu feiern. Für ihn muss der Donnerstag aber vor allem zu einem «Appell werden, die bestehenden Probleme und Konflikte endlich zu lösen, zu einem Kompromiss zu kommen.»

Es wird regnen

Karin Breuer und Ursel Biel-Breuer haben jetzt erst einmal ihre Feier im Blick. Bei gutem Wetter hoffen sie auf viele Tausend Gäste. Und die sollen echt belgisch bewirtet werden. Allerdings ist Regen angesagt. Wird es richtig nass, dann muss nicht nur das Feuerwerk abgesagt werden. Dann fällt auch die Nationalhymne ins Wasser.