Mögliche Wende im blutigen Bürgerkrieg in Libyen: Nach der vom UN-Sicherheitsrat verfügten Flugverbotszone in Libyen hat Außenminister Mussa Kussa nur Stunden später in Tripolis eine sofortige Waffenruhe verkündet.
Bei der Nato liefen umgehend Vorbereitungen zum Militäreinsatz in dem nordafrikanischen Land an. Am späten Freitagabend stellten die USA, Großbritannien, Frankreich und die arabischen Ländern ein Ultimatum an Gaddafi. Er soll nicht nur die Waffen ruhen lassen und seine Truppen abziehen. Das Amt des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy veröffentlichte am Freitagabend in einer Stellungnahme auch weitere Forderungen an den Diktator. So sollten nicht nur unverzüglich alle Angriffe auf Zivilisten eingestellt, sondern auch Gaddafis Truppen aus den betroffenen Gebieten abgezogen werden. Zudem solle dort die Strom-, Gas- und Wasserversorgung wiederhergestellt werden. Die Bevölkerung müsse ferner Zugang zu humanitärer Hilfe erhalten.
«Das ist nicht verhandelbar», heißt es weiter in der am Abend verbreiteten Erklärung des Elysée-Palastes in Paris. Andernfalls würde die internationale Gemeinschaft Gaddafi gemäß der UN-Resolution mit militärischen Mitteln dazu zwingen.
USA: «Spezielle Fähigkeiten»
Die USA würden die Weltgemeinschaft bei Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen unterstützen. Das US-Militär würde dabei seine «speziellen Fähigkeiten» zur Verfügung stellen, sagte US-Präsident Obama am Freitag. Er habe Verteidigungsminister Robert Gates angewiesen, die Koordination in Zusammenarbeit mit den Alliierten zu übernehmen.
Die USA forderten handfeste Beweise für das versprochene Ende der Gewalt gegen die Aufständischen. «Wir werden nicht auf Worte reagieren und uns nicht von ihnen beeindrucken lassen», sagte US-Außenministerin Hillary Clinton, die ebenfalls am Libyen-Gipfel in Paris teilnehmen wollte. «Wir müssen Taten sehen.»
Führende Rolle für Paris
Nicht ausgeschlossen wurde, dass Frankreich, das sich vehement für die UN-Resolution eingesetzt hatte, die führende Rolle in der Überwachung der Flugverbotszone übernimmt. In seinen Bemühungen um Beilegung der Krise in Nordafrika berief Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy überraschend einen Libyen-Gipfel ein.
Spitzenvertreter der Europäischen und Afrikanischen Union, der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga beraten am Samstag in Paris das weitere Vorgehen gegen das Regime in Libyen. An dem Treffen sollen neben Kanzlerin Merkel auch die Regierungschefs von Großbritannien, Italien, Spanien, Portugal, Dänemark und Belgien teilnehmen. Dazu wurden Vertreter der Arabischen Liga sowie der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens erwartet. Über eine Abordnung aus Libyen selbst war nichts bekannt.
Weichenstellung
Die französische Regierung erwartet von dem Gipfel eine Weichenstellung für den geplanten Militäreinsatz gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi. Alles stehe bereit, das Treffen werde entscheidend sein, erklärte der französische Außenminister Alain Juppé nach mehrstündigen Beratungen mit Präsident Sarkozy.
Die Kanzlerin verteidigte indes die Enthaltung Deutschlands bei der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats. Sie glaube, dass eine Luftoperation über Libyen «nicht hundertprozentig durchdacht» sei, sagte Merkel am Freitag nach Teilnehmerangaben in einer Libyen-Sondersitzung der Unionsfraktion. Die Bundesregierung erwägt aber, die Nato an anderer Stelle zu entlasten, zum Beispiel durhc die entsendung von Awacs-Flugzeugen.
Libyen: Bereit zum Dialog?
Offen bleibt, ob der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi mit einer Waffenruhe nur auf Zeit spielt. Trotz der angekündigten Feuerpause dauerten etwa die Gefechte um die Stadt Misurata am Freitagnachmittag an.
Libyens Außenminister hatte am frühen Freitagnachmittag die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen verkündet. Libyen sei bereit zum Dialog, sagte der Minister, ohne Details zu nennen. Nach dem Ultimatum sagte am Freitagabend der stellvertretende Außenminister Chalid Kaim auf einer vom TV-Sender CNN übertragenen Pressekonferenz in Tripolis, man habe den libyschen Truppen Anweisung gegeben, nicht in die Rebellenhochburg Bengasi vorzudringen.
Ein Bewohner der Stadt Misurata sagte am Telefon im Gespräch mit dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira: «Von welchem Waffenstillstand wird da geredet? Es gibt keinen Waffenstillstand.»
Alle Eventualitäten
In Brüssel erörterten die Nato-Botschafter die Lage. Es sollten Planungen für «alle Eventualitäten» vorangetrieben werden, berichtete eine Nato-Sprecherin. Zunächst konnten sich die Diplomaten nicht auf ein Mandat für den Einsatz von Militär einigen. Es zeichne sich aber ab, dass die Nato bereit sein werde, das vom UN-Sicherheitsrat genehmigte Flugverbot über Libyen durchzusetzen, hieß es in Brüssel.
Als eines der ersten Länder außerhalb des Bündnisses kündigte das Emirat Katar seine Teilnahme an. Auch Kanada wollte sich an der Aktion beteiligen. Unklar blieb vorerst die Rolle der USA sowie anderer arabischer oder afrikanischer Staaten wie des libyschen Nachbarlandes Ägypten.
Stützpunkte auf Korsika
Als Stützpunkte für den Militäreinsatz boten sich zunächst die Nato-Flugplätze auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika an, ebenso der große Nato-Stützpunkt bei Souda auf der griechischen Mittelmeerinsel Kreta. Von dort beträgt die Flugzeit in Richtung Libyen knapp 20 Minuten.
Spanien bot der Nato die Nutzung seiner Luftwaffenstützpunkte Rota und Morón im Süden das Landes an. Zu einer Nutzung italienischer Militärflughäfen lag zunächst keine Stellungnahme aus Rom vor.
UN-Beschluss wurde gefeiert
Die Aufständischen hatten den UN-Beschluss in der Nacht zum Freitag in den von ihnen kontrollierten Städten gefeiert. Die Truppen Gaddafis starteten kurz darauf trotz der angekündigten Feuerpause neue Angriffe auf die von den Regimegegnern kontrollierte Stadt Misurata. Dort starben nach Informationen des Senders BBC 26 Menschen, 83 weitere wurden verwundet.
Nach der vom Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution gibt es nicht nur ein Flugverbot über dem nordafrikanischen Land, um die Zivilisten vor der Luftwaffe Gaddafis zu schützen. Erlaubt ist militärisch fast alles – bis auf Bodentruppen.
«Historische Entscheidung»
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon begrüßte das Votum als eine «historische Entscheidung». Er rief die Weltgemeinschaft auf, in der Libyen-Krise mit einer Stimme zu sprechen. Alle Mitgliedsstaaten müssten sich an der Umsetzung der Libyen-Resolution beteiligen, forderte er in Madrid. «Es ist eine schwierige Situation, in der weiter Tausende Menschenleben in Gefahr sind.»
Die Europäische Union bereitet sich unterdessen auf humanitäre Hilfeleistungen und den Transport von Flüchtlingen vor – auch unter Einsatz militärischer Mittel. Darüber wollte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton beim Libyen-Gipfel sprechen. Über verschärfte Sanktionen wollten am Montag die Außenminister beraten. Deutschland schlägt auch einen Boykott von Öllieferungen aus Libyen vor. Libyen exportiert bisher rund 70 Prozent seines Öls in die EU.
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