Ein Geisterschiff war der bisher größte Vorbote der gefürchteten Müll- und Trümmerinvasion an der nordamerikanischen Westküste. Der Fischtrawler «Ryou-Un Maru» hatte sich im März vor einem Jahr nach dem Erdbeben und Tsunami in Japan losgerissen. Herrenlos trieb der Kahn mit Strömung und Wind fast 8000 Kilometer über den Pazifik. Anfang April endete die Reise im Kanonanhagel der US-Küstenwache – das Boot war Alaska und dem Schiffsverkehr so gefährlich nah gekommen, dass es die Behörden versenkten. Nun befürchten die Anwohner der Westküste Nordamerikas weitere Gefahren durch den Tsunami: Treibgut-Trümmer werden immer öfter gesichtet.
«Das ist gerade mal der Anfang», meint der Ozeanograph Curtis Ebbesmeye. Nach seinen Beobachtungen werden kleinen Trümmerteile schon seit vergangenem Herbst in Kanada und den US-Staaten Alaska, Washington, Oregon und Kalifornien angespült. «Wir sind im Countdown für Oktober, wenn vermutlich die größte Masse ankommt. Wir sollten uns auf eine riesige Reinigungsaktion gefasst machen», prophezeit der pensionierte Meereskundler.
Styropor-Bojen
Seit Jahrzehnten untersucht er Strömungen anhand von Treibgut – auch mit Hilfe tausender Gummi-Enten, die 1992 während eines Sturms von einem Containerschiff gefallen waren und die es auf ihrer langen Reise in drei Ozeane verschlug.
Jetzt sind es vorwiegend Plastikkanister und große Styropor-Bojen, wie sie in der japanischen Austernzucht benutzt werden, die Ebbesmeyer und seine Helfer an der Westküste Nordamerikas sichten. Knapp 400 Teile hätten Strandgänger zwischen Kalifornien und Alaska seit Oktober gefunden – vermutlich alles Tsunami-Müll, so der Forscher.
Strömungen
Die Bundesbehörde NOAA für Wetter und Ozeanographie will sich ohne handfeste Beweise nicht auf die Herkunft des Treibguts festlegen. Nur bei dem Geisterschiff und zwei kleineren angetriebenen Booten war der Zusammenhang mit der Tsunami-Katastrophe klar zu belegen. Nach dem neuesten Computer-Model von NOAA-Mitarbeiter Doug Helton in Seattle könnten Strömung und Wind die ersten Trümmerteile jedoch schon vor Monaten angespült haben. «Das meiste treibt noch im Meer, über einen größeren Raum verteilt, in einem komplizierten System von Strömungen. Einige Teile, darunter Bojen und Plastikbehälter, sind allerdings schneller voran gekommen», erklärt Helton.
Was als dichter Trümmer-Teppich in japanischen Gewässern begann, ist nach dem langen Weg durch Winterstürme auf eine große Fläche verteilt worden. «Es gibt keine genauen Zahlen, wie viel Material heute noch im Wasser treibt», meint Diana Parker von der NOAA-Abteilung für Meeresabfälle in Washington. «Nach Schätzungen der japanischen Regierung gingen fünf Millionen Tonnen Trümmer ins Meer, 70 Prozent sind schnell gesunken, damit könnten immer noch 1,5 Millionen Tonnen umhertreiben», rechnet Parker vor.
Bedrohung
Auf neue Erkenntnisse hoffen Umweltschützer beim Earth-Day. Zu der traditionellen Strandreinigung werden Tausende freiwillige Helfer am Wochenende erwartet, darunter auch Jody Kennedy in Seattle, Mitglied der Surfrider Foundation. «Wir rechnen mit sehr viel mehr Verschmutzung in den nächsten Jahren», meint die Amerikanerin. «Der Tsunami-Müll lenkt damit hoffentlich den Blick auf die weltweite Bedrohung der Meere durch Plastik und andere Abfälle». Sie geht davon aus, dass Anwohner und Gemeinden die Reinigung übernehmen müssen.
«Es gibt keine Stelle, die für die Beseitigung von Meeres-Müll zuständig ist», sagt auch Curt Hart vom Amt für Ökologie im US-Staat Washington. Seine Behörde würde Anrufe von besorgten Bürgern erhalten, die an Stränden Kanister und Behälter finden, die Chemikalien oder andere giftige Stoffe enthalten könnten. Er hält es aber für «höchst unwahrscheinlich», dass mit dem Tsunami-Müll radioaktives Material oder Leichenteile angeschwemmt würden. Verschiedene Stellen, darunter auch NOAA, haben Hotlines eingerichtet, wo verdächtiger Müll gemeldet werden kann.
Trümmerfeld
Für den Meereskundler Ebbesmeyer gibt es viele offene Fragen über die Umweltschädlichkeit des Tsunami-Treibgutes. «Wir beobachten etwa eine höhere Zahl von Meeresschildkröten, die tot angeschwemmt werden. Ihre Schwimmroute führt genau durch das Trümmerfeld», sagt der Forscher. Er kritisierte das Versenken des japanischen Fischtrawlers vor der Küste von Alaska. Das führerlose Schiff hätte in einen Hafen geschleppt und entsorgt werden sollen, meint Ebbesmeyer.
Die Küstenwache hatte das Risiko einer Umweltverschmutzung durch das Geisterschiff jedoch als gering eingeschätzt. Das ins Wasser gelaufene Öl würde keinerlei Gefahr für die maritime Lebenswelt darstellen, hieß es damals.
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