Dicker, grauer Rauch liegt in der Luft, Menschen liegen blutüberströmt auf dem Bahnsteig. Alles scheint wirr: Menschen, die es sonst so eilig haben, bleiben mitten in der Metro-Station stehen, reiben sich die Augen, wickeln sich einen Schal schützend um den Mund. Andere versuchen, den regungslosen Menschen zu helfen und Erste Hilfe zu leisten. Doch in vielen Fällen vergeblich.
Scheinbar zwei Verdächtige
Die Behörden fahnden Medienberichten zufolge nach zwei Verdächtigen. Einer von ihnen soll die Bombe in einer Aktentasche unter einem Sitz in der U-Bahn platziert haben, wie die Agentur Interfax unter Berufung auf Sicherheitskreise meldete.
Der andere soll eine Bombe an der Metro-Station Ploschtschad Wosstanija (Platz des Aufstands) deponiert haben. Der zweite Sprengstoff wurde von Sicherheitskräften entdeckt und konnte rechtzeitig unschädlich gemacht werden.
St. Petersburg, die beliebte russische Touristenmetropole und moderne Stadt an der Ostsee, ist gerade Ziel eines Terroranschlages geworden. Genau in dem Moment, als sich auch Kremlchef Wladimir Putin in der Stadt aufhält.
14.40 Uhr Ortszeit
Es hätte für Putin ein Tag mit viel Routine werden können. Bei einer Konferenz am Stadtrand seiner Heimatstadt spricht er über die russische Wirtschaft, danach ist noch ein Treffen mit seinem weißrussischen Kollegen Alexander Lukaschenko angesetzt. Doch etwa um 14.40 Uhr Ortszeit zerreißt eine Explosion die alltägliche Ruhe in St. Petersburg. Zwischen den U-Bahn-Stationen Sennaja Ploschtschad und Technologisches Institut explodiert eine Bombe.
Der Fahrer bringt den Zug noch in die nächste Station, dann wird das Ausmaß der Explosion sichtbar: Eine Tür des Waggons ist zerfetzt, am Rand klebt das Blut von getöteten und verletzten Menschen. «Ich war mit meinen Freunden unterwegs. Plötzlich dieser Knall», sagt eine junge Frau im Fernsehen. Aus Angst habe sie sich nicht umgedreht und sei einfach ins Freie gelaufen.
Eine zweite Bombe
Eine zweite Bombe, direkt platziert in einer Metrostation unter dem größten Bahnhof der Stadt, explodiert nicht. Ermittler finden sie und machen sie unschädlich. Doch mindestens zehn Menschen sterben, Dutzende kommen mit schweren Verletzungen in die Krankenhäuser. Die zweitgrößte Stadt Russlands befindet sich im Ausnahmezustand.
Das komplette Metro-System wird evakuiert, in Teilen der Stadt bricht der Verkehr zusammen. Hubschrauber kreisen über dem Flüsschen Fontanka, das sich durch das Stadtzentrum schlägelt.
Sennaja Ploschtschad liegt im Herzen St. Petersburg, hier zieht es Einwohner wie auch Touristen hin, die nach den Schauplätzen von «Schuld und Sühne» suchen – dem St. Petersburg-Epos von Fjodor Dostojewski. Es ist einer der belebtesten Orte in der ganzen Stadt.
Nicht nur St. Petersburg, sondern ganz Russland wirkt wie in Schockstarre: Jahrelang wähnten sich das Land und seine Millionenstädte in einer relativen Ruhe.
Viele Terroranschläge, Bomben und Geiselnahmen hatten die Menschen nicht nur in Moskau miterlebt. Die Szene in St. Petersburg erinnert vom Ablauf her genau an die Anschläge in Moskau vor sieben Jahren: Zwei Sprengsätze gespickt mit Schrauben und Nägeln explodierten am Morgen in den Metro-Stationen Lubjanka und Park Kultury im Zentrum der Hauptstadt – und töteten 38 Menschen. Der tschetschenische Guerillakämpfer und Terrorist Doku Umarow übernahm damals die Verantwortung.
20 Jahre ohne Anschlag
In der Fünf-Millionen-Stadt St. Petersburg war es immer sehr ruhig, in den vergangenen 20 Jahren gab es keinen Anschlag oder Angriff. Stecken auch hinter dem Anschlag in St. Petersburg wieder tschetschenische Terroristen? Putin ließ kurze Zeit nach der Explosion wissen, man ermittle in alle Richtungen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte kurz darauf den Verdacht, es handle sich um einen Terrorakt.
Two suspected terrorists on the run after St Petersburg attack https://t.co/lPlBtbo1LV via @MailOnline
— Harold Sadler (@h_l_sadler) 3. April 2017
Seit Russland Lufteinsätze gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien fliegt, gerät auch die Heimat in deren Visier. Erst Ende März kamen bei einer Attacke auf eine Kaserne in der Unruheregion Tschetschenien sechs russische Soldaten der Nationalgarde ums Leben. Der IS reklamierte die Tat für sich. Sollte das Bekenntnis stimmen, war es der bislang schwerste Anschlag der Terrormiliz auf russischem Gebiet.
Überwachungskameras geben erste Spuren preis: Eine Person soll in einer Aktentasche die Bombe platziert haben. Sogar Fotos der verdächtigen Person sollen im Internet kursieren, berichteten Sender.
Seit den Anschlägen in der Moskauer Metro wird in den U-Bahn-Stationen jeder Winkel beobachtet, Mülltonnen wurden aus Sicherheitsgründen entfernt. Regelmäßig patrouillieren Polizisten mit Spürhunden durch die Bahnhöfe und Stationen – und kontrollieren auch verdächtig aussehende Menschen. Bislang ist nicht bestätigt, wer hinter dem Anschlag in der beliebten Touristenmetropole steckt. Doch es ist klar: Die Explosion hat nicht nur St. Petersburg aufgeschreckt.
FIFA: «schockierend und traurig»
Der Fußball-Weltverband FIFA hat indes mit Betroffenheit auf die Explosion in einer U-Bahn in St. Petersburg reagiert. Die Explosion sei «schockierend und traurig», hieß es in einer Stellungnahme des Verbandes am Montag. St. Petersburg ist als wichtiger Spielort für die Fußball-WM 2018 und den Confederations Cup in diesem Sommer vorgesehen.
In Russland wird im kommenden Jahr um die Fußball-WM gespielt. In diesem Jahr findet als WM-Probelauf der Confederations Cup statt. St. Petersburg ist bei beiden Turnieren eine der wichtigsten Austragungsstätten. Insgesamt sind vier Confed-Cup-Partien in der Fünf-Millionen-Stadt geplant, darunter am 17. Juni das Eröffnungsspiel und am 2. Juli das Finale. Ein Jahr später ist St. Petersburg sieben Mal Schauplatz eines WM-Spiels.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können