Auf den ersten Blick sieht es nicht so aus, dass die Herrschaft des Revolutionsführers bald enden wird. Seine Truppen haben den Vormarsch der Rebellen im Osten gestoppt, im Westen stehen sie angeblich kurz vor der Rückeroberung der Stadt Sawija. In Ansprachen und Interviews markiert der Diktator den starken Mann. Falls der Westen oder die UNO eine Flugverbotszone verhängen, werde das libysche Volk «zu den Waffen greifen».
Was sich in Libyen genau abspielt, ist schwer zu beurteilen. Allerdings mehren sich die Indizien, wonach Gaddafi längst nicht so fest im Sattel sitzt wie er vorgibt. So soll es am letzten Sonntag innerhalb seiner Festung in Tripolis zu einem Schusswechsel gekommen sein. Dieser sei die Folge eines scharfen Disputs innerhalb von Gaddafis Familie gewesen, berichtet die Zeitung «Alsharq al-Aswat» mit Berufung auf eine Quelle in der libyschen Hauptstadt. Die Kinder des Herrschers seien uneinig, ob man ausharren oder fliehen solle.
Hannibal will ins Exil
Laut der Quelle unterstützen die Söhne Saif al Islam, Saadi, Mutasim und Chamis den Plan des Vaters, den Aufstand mit allen Mitteln niederzuschlagen. Der älteste Sohn Mohammed, Hannibal und Tochter Aischa seien dagegen, berichtet die in London erscheinende arabische Zeitung. Belege von unabhängiger Seite gibt es nicht. Allerdings soll Aischa kurz nach Beginn der Rebellion versucht haben, nach Malta zu fliehen. Einem libyschen Flugzeug wurde zudem die Landung im Libanon, der Heimat von Hannibals Ehefrau Aline, verweigert.
Der Gaddafi-Nachwuchs gilt ohnehin als notorisch zerstritten. Ein Indiz dafür ist auch ein Interview von Saadi Gaddafi mit dem Fernsehsender «Al Arabiya». Darin attackierte er seinen Bruder Saif al Islam, der es versäumt habe, die Probleme der einfachen Libyer anzugehen, etwa die Preise für Güter des täglichen Bedarfs. Saadi, der sich in Italien erfolglos als Profifussballer versucht hatte, warnte vor einem Bürgerkrieg und einer Situation wie in Somalia für den Fall, dass dem «Führer» etwas zustoße.
Gaddafi wird «sehr bald» fallen
Am Dienstag gab es weitere Anzeichen für eine zunehmende Spaltung in Gaddafis Umfeld. Verteidigungsminister Abu Bakr Junis und Geheimdienstchef Mustafa al Charubi sollen unter Hausarrest gestellt worden sein, weil sie das brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung nicht mehr mittragen wollten. Bei ihnen handelt es sich nicht um beliebige Funktionäre, sondern langjährige Weggefährten des Diktators. Bereits beim Putsch 1969 gehörten sie zu Muammar al Gaddafis Mitstreitern.
Ein anderer einstiger Gefolgsmann zeigte sich überzeugt, dass Gaddafi «sehr bald» fallen wird. Er werde entweder von einem seiner Söhne, Verwandten oder Offiziere getötet, sagte Suleiman Mahmud Suleiman, ehemaliger Vizechef des militärischen Geheimdienst und Kommandant der Republikanischen Garde, laut der Agentur Bloomberg in einem Interview mit der algerischen Zeitung «Echorouk». Suleiman hat sich auf die Seite der Aufständischen geschlagen, er bezeichnete den Revolutionsführer im Interview als «verrückt».
Vielleicht aber hat Gaddafi realisiert, dass es für ihn eng werden könnte. Dafür sprechen die am Dienstag kursierenden Gerüchte um ein angebliches Rücktrittsangebot an die Opposition in Bengasi. Demnach soll Gaddafi den Gang ins Exil angeboten haben, falls er sein Milliardenvermögen behalten könne. Später liess der Diktator dementieren, doch Analysten und Dissidenten im Exil sind überzeugt, dass Gaddafi nach einem Fluchtweg sucht und sein Regime sich nicht mehr lange halten kann.
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