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Otto Lilienthals tragisches Ende ist aufgeklärt

Otto Lilienthals tragisches Ende ist aufgeklärt
(Stefan Sauer/dpa)

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Das Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat die Ursache des Unglücks des deutschen Flugpioniers ermittelt.

Als Otto Lilienthal am 9. August 1896 vom 70 Meter hohen Gollenberg springt, ist das zunächst Routine. Seit seinem ersten erfolgreichen Versuch fünf Jahre zuvor ist der wagemutige Tüftler bereits tausende Male mit dem von ihm entworfenen Lilienthal-Gleiter in die Luft gegangen. Doch an diesem Tag begeht der 48-Jährige einen folgenschweren Fehler, der ihn das Leben kostet.

«Wir wissen, dass Lilienthal immer wagemutiger geworden ist», sagt Andreas Dillmann. Der Leiter des Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) kennt Lilienthals Flieger wie kaum ein anderer Ingenieur. Im Auftrag des DLR hat er Lilienthals Gleiter zum 125. Jubiläum des Erstfluges originalgetreu nachbauen und ausgiebig testen dürfen. Ihre Ergebnisse stellen Dillmann und seine Kollegen im Rahmen der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin zusammen mit dem Gleiter-Nachbau vor.

Zwei Dinge haben sie herausgefunden: Erstens gilt Lilienthal zu Recht als erster fliegender Mensch und wichtigster Pionier der Luftfahrt. Zweitens wäre sein Tod vermeidbar gewesen, wäre Lilienthal mit seinem Gleiter nicht bei ungeeignetem Wetter von dem Hügel nordwestlich von Berlin gesprungen. «Vor Lilienthal als Aerodynamiker muss man den Hut ziehen», sagt Dillmann. Der weltweit neun Mal verkaufte Gleiter sei nicht nur das erste in Serie produzierte Flugzeug der Welt, es erfülle auch «alle Ansprüche, die man an ein Flugzeug stellt».

Von den Vögeln gelernt

Ausführlich erklärt Dillmann, wie stabil der Gleiter in der Luft gelegen habe. Dass der Flieger auch bei Seitwärts-Neigungen in Turbulenzen nicht kippte, sondern sich von selbst wieder ausrichtete, hatte sich Lilienthal von Vögeln abgeschaut. Die Flügel sind angewinkelt und steigen nach außen an. «Das ist bei einem modernen A380 nicht anders», sagt Dillmann und zeigt Fotos des Lilienthal-Gleiters und des modernen Passagierflugzeuges, auf denen der ähnliche Anstellwinkel der Flügel erkennbar wird.

«Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst» heißt das 1889 erschienene Buch Lilienthals, in dem er seine Erkenntnisse mit der Welt teilte. Zu dieser Zeit habe die Kunst des Fliegens in Form der Zeppeline bereits als erfunden gegolten, sagt Bernd Lukasch, Leiter des Otto-Lilienthal-Museums. Nur Außenseiter wie Lilienthal hätten es den Vögeln gleich machen wollen.

Mit 6,70 Metern Spannweite ist Lilienthals nur 20 Kilo leichtes Fluggerät fast doppelt so breit wie es lang ist. Und es fliegt tatsächlich: 250 Meter weit aus einer Höhe von 70 Metern. Der Gleiter erreicht dabei 50 Stundenkilometer. Die von Dillmann im Windkanal errechneten Werte entsprechen den damaligen Angaben. «Der Gleiter war kein aerodynamisches Wunderwerk», sagt Dillmann. Aber er sei in der Luft genauso gutmütig zu bewegen gewesen wie die die Schul-Segelflugzeuge in den 20er und 30 Jahren.

Jäher Absturz

Kein Wunder also, dass Lilienthal immer mehr Zutrauen in seinen Gleiter entwickelte. Doch ein Phänomen ist Ende des 19. Jahrhunderts kaum erforscht: Die Thermik, also aufsteigende Luft, die durch den von der Sonne erwärmten Erdboden entsteht. Genau so eine «Sonnenböe» vermutet Dillmann hinter Lilienthals Absturz. Das entspräche den Zeugenberichten: Plötzlich stellt sich der Gleiter auf. Lilienthal reagiert richtig, wirft Beine und Oberkörper nach vorn. So versucht er den Gleiter wieder auszugleichen – was bei einem modernen Fluggerät das Höhenruder übernimmt.

Vergeblich: Der Flieger steht steiler als 16 Grad, jenem Winkel ab dem nach Dillmanns Berechnungen die Strömung des Gleiters abreißt. Das Flugerät kippt zur Seite und fällt jäh zu Boden. Am Folgetag erliegt Lilienthal seinen schweren Verletzungen. Ein Pilotenfehler? Dillmann sagt: «2.000 Mal ging es gut, dann ging es irgendwann schief.»