Sie wissen es wahrscheinlich auch noch nicht lange, jetzt ist es Fakt. Freuen Sie sich auf Ihre neue Aufgabe?
Ja klar freue ich mich. Das ist eine Herausforderung, ein neues Zentrum mitzugestalten und ich sehe die Chance, neue Formen der Geschichtsschreibung nicht nur zu denken, sondern wirklich auch zu realisieren. Wenn es steht, wird dieses Zentrum im internationalen Vergleich einmalige Möglichkeiten bieten, mit neuen Formen und Methoden der Geschichtsschreibung zu experimentieren.
Wo ist denn der Unterschied der digitalen Geschichtsschreibung zur analogen?
Es wird hier eine Kombination von beidem sein. Ganz sicher wird Geschichtsschreibung nicht von heute auf morgen ganz anders aussehen, aber durch die massive Digitalisierung der Quellen, durch neue Formen der Online-Recherche, durch neue Möglichkeiten, die Forschungsresultate auch einem breiten Publikum zugänglich zu machen, sie sogar daran partizipieren zu lassen, verändert das sehr wohl das Selbstverständnis unseres Berufes und auch die Praxis als Historiker.
Ist es nicht egal, ob die Quelle digital oder analog auf Papier vor einem liegt? Das ändert doch nur das Arbeitsmedium?
Ich sehe da sehr große Unterschiede. Durch die Digitalisierung verändert sich der Begriff von „Quelle“, der Begriff von Archiv und die Praxis der Quellenkritik verändert sich. Da brauchen wir als Historiker angepasste Methoden – vor allem für die Quellenkritik. Wir verlieren sonst eine der Grundfertigkeiten des Historikers, die kritische Methode der Quellenanalyse, wenn wir blind darauf vertrauen, dass das, was wir online und digital sehen auch wirklich authentisch ist.
Dem müssen Journalisten auch misstrauen…
Das gehört zu dem, was ich als „digital literacy“ bezeichnen würde. Das ist ein Handwerkszeug, was natürlich auch Journalisten haben müssen. Eigentlich jeder, der mit digitalen Quellen und Informationen arbeitet. Das ist eins der Ziele des neuen Instituts, sich als Mediator auf Universitätsebene zu etablieren, wo diese „Skills“ erlernt und vermittelt werden.
Das heißt, wer heute Geschichte studiert, ich muss auch technische „Skills“ erlernen?
Das ist in unseren Masterstudiengängen ja schon der Fall. Da gibt es eine Menge von Kursen in diese Richtung. Das soll über das Geschichtsstudium hinaus ausgebaut werden.
Gibt es eine „große“ Vision für das Institut?
Ich möchte daraus eine nationale Plattform machen für die Diskussion der Luxemburger Zeitgeschichte. Der „Historikerstreit“ hier im Lande hat ja gezeigt, dass Themen aus der Zeitgeschichte eine politische und soziale Relevanz haben sowie wirklicher Diskussionsbedarf besteht. Die Plattform soll auf wissenschaftlichem Niveau diese Auseinandersetzung fördern.
Vom Professor zum Institutsleiter: In welcher Rolle sehen Sie sich? Moderator? Manager oder Forscher? Oder alles zusammen?
Alles zusammen. Das ist ein Job, der zum einen diplomatische Fähigkeiten verlangt. Zum anderen will ich das Zentrum international als Exzellenzzentrum etablieren. Da geht es dann um Forschungsqualität und Innovativität. Auf nationaler Ebene wird es mehr um eine Vermittlerrolle gehen, auf Universitätsebene darum gehen, neue Methoden und Praktiken in die Lehre einzubringen und die zukünftigen Generationen von Studierenden mit dieser Art Geschichte zu denken und zu betreiben vertraut zu machen.
Exakt drei Jahre haben Sie als Professor an der Uni.lu gearbeitet. Wie ist Ihr Fazit?
Ich bin nach Luxemburg gekommen, weil ich hier die Möglichkeit hatte, ein Labor aufzubauen. Im „Digital History Lab“ habe ich die Möglichkeit mit Studierenden und Doktoranden zu experimentieren. Das hat sich so entwickelt, wie ich mir das gewünscht habe. Es ist ein Ort des spielerischen und kreativen Zugangs zu neuen Methoden, Fragestellungen und Darstellungsformen geworden.
Sie sind qua Ihrer Doktorarbeit auf ein eher technisches Thema spezialisiert. Jetzt leiten Sie ein Institut, dass sich mit luxemburgischer Zeitgeschichte, europäischer Integration und Digitalisierung beschäftigt. Das klingt nach ganz etwas Anderem?
Auf den ersten Blick, ja. Ich denke ich wurde nominiert, weil ich zeigen konnte, dass ich in diesen drei Bereichen Kompetenzen habe.
Inwiefern?
Ich habe in den letzten zehn Jahren thematisch breit über europäische Geschichte geforscht – vor allen Dingen im Bereich europäischer Technik- und Mediengeschichte. Darüber sind große europäische Netzwerke entstanden. Die luxemburgische Zeitgeschichte war zwar kein Forschungsschwerpunkt, aber ich habe mich hier sehr damit beschäftigt. Sei es in Lehrveranstaltungen oder in Projekten.
Beispiele?
Ich habe mit Studierenden eine virtuelle Ausstellung zur Geschichte von Radio RTL gemacht (http://h-europe.uni.lu/) . Gerade läuft ein Seminar von mir zur „Oral History“ des zweiten Weltkrieges und der Nachkriegsgeschichte in Luxemburg und ich bin Doktorvater einer Arbeit zur Migrationsgeschichte in Luxemburg. Als jemand, der aus der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens kommt, gibt es viele Verbindung zur luxemburger Geschichte.
Vielerorts in Europa werden die Geisteswissenschaften an den Universitäten geschwächt. Institute schließen zugunsten des Ausbaus der rechts- und Naturwissenschaften. Die uni.lu geht da offensichtlich andere Wege. Macht Sie das stolz?
Das macht mich stolz und vor allem zuversichtlich, dass wir hier den richtigen Weg eingeschlagen haben. Gerade der Bereich „Digital Humanities“ ist ein Weg, die Geisteswissenschaften zukunftsfähig zu machen. Ich bin froh, dass das hier als Chance erkannt wird.
Was macht Andreas Fickers, wenn er nicht an der Uni in seinem Büro sitzt?
(lacht…) Dann ist er ein begeisterter Familienvater, ein Hobbymusiker (Drums), Hobby-Ornithologe und Wanderer. Das mache ich vor allem, wenn ich Ruhe brauche. Dann nehme ich mein Fernglas und beobachte.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können