Stellen Sie sich einmal vor, sie säßen auf dem heißen Stuhl von „Wer wird Millionär“ und die letzte Frage lautete: „Wer war der Erfinder der Kampfkunst Wing Chun?“ Zur Auswahl stünden Ihnen vier Namen: 1. Ng Mui, 2. Yim Wing Chun, 3. Ip Man und 4. Bruce Lee. Sie haben keinen Joker mehr, aber die Million winkt: Wen würden Sie wählen?
Von Norry Goedert
Wer hat die Kampfkunst Wing Chun erfunden? Gute Frage. Dann fangen Sie an, laut zu denken: „Also, Bruce Lee kenn ich: Das ist doch der mit den Kung-Fu-Filmen!? Und Ip Man? Gibt’s da nicht auch asiatische Kampfkunstfilme? Aber wer ist Ng Mui? Und dann bleibt noch Yim Wing Chun. Es wäre zu schön, wenn das die richtige Antwort wäre, besonders, da es sich um die Eine-Million-Euro-Frage handelt … Was tun?“
Nachdem Sie vorsichtshalber die wohlverdiente halbe Million abgesichert haben, würde Sie dann Herr Jauch in seiner unnachahmlichen Art belehren: „Bei Bruce Lee hatten Sie recht: Der hat tatsächlich zahlreiche Kung-Fu-Filme gedreht. Zudem war er ein Schüler von Ip Man, der das Wing Chun hoffähig und bekannt machte. Aber keiner von beiden erfand das Wing Chun. War es also Yim Wing Chun selbst? Wie Sie selbst schon sagten: Das wäre zu einfach! Hier also die ganze Geschichte.“
Die Geburt des Wing Chun
Wing Chun, heute ein beliebter Nahkampfstil, der die Grundlage für das Jeet Kune Do und die Philosophie von Bruce Lee bildet, wurde der Legende nach von der buddhistischen Nonne Ng (sprich: Niug) Mui erfunden, die das System der jungen Südchinesin Yim Wing Chun beibrachte. Da das Shaolin Kung-Fu ein lebenslanges Training voraussetzt, hat Ng Mui die unzähligen Formen ihrer Kampfart gerafft und die Quintessenz herausgefiltert.
Als nun die junge Yim zwangsweise mit einem örtlichen Schläger verheiratet werden sollte, erlernte sie kurzerhand die wesentlichen Techniken des verkürzten Shaolin Kung-Fu mithilfe von Ng Mui und besiegte ihren ungeliebten Freier. Danach heiratete sie ihre Jugendliebe und Verlobten, den Salzhändler Leung Bok Chau, und lehrte ihn ihr System. Dieser nannte es ihr zu Ehren Wing Chun und verbreitete es weiter. Das Wing Chun Kung-Fu war geboren! (Es gab und gibt im Übrigen mehrere Schreibarten: Wing Chun, Ving Tsun, Wyng Tjun, wobei jede Kampfkunstakademie sich für eine bestimmte Schreibart entscheidet aus Gründen der Unterscheidung …)
Wing Chun gibt es in einer Reihe verschiedener Stile, aber den meisten sind sechs Formen gemeinsam: drei Formen für die leere Hand (Siu Nim Tao, Cham Kiu und Biu Tze), eine für die Holzpuppe (Muk Yan Chong) und zwei Waffenformen (Langstock und Schmetterlingsmesser). Dem Ganzen liegt das Prinzip der sparsamen Bewegung zugrunde, und die Schüler sollen den Weg ihres Angriffs durch die Verteidigung des Gegners erfühlen (Chi Sao: klebende Hände), um das gefundene Ziel dann mit blitzschnellen Fauststößen und Fingerstichen anzugreifen.
Der Fauststoß des Wing Chun ist einmalig, da er von der Brust ausgeht, während alle anderen Stile ihn aus der Hüfte, der Taille oder dem Schultergürtel schlagen. Weichheit und Entspannung werden betont. Schiere Kraft ist zu vermeiden, weil steife Gliedmaßen dem Gegner einen Vorteil verschaffen.
Lapu-Lapu und die Schlacht von Mactan
Als Kampfkunst der Filipinos, die sich auf den Kampf mit Stock, Schwert oder Machete konzentriert haben, ist Escryma durch kampfbewährte Techniken charakterisiert.
Man weiß wenig über die Herkunft dieser Kampfkunst, weil sie nur mündlich weitergegeben wurde. Sie soll von frühen indischen und malaiischen Kampfkünsten beeinflusst sein. Bekannt ist allerdings, dass die spanischen Konquistadoren sich bei ihrer Ankunft auf den Philippinen im 16. Jahrhundert der Ureinwohner erwehren mussten, die heimische Waffen und Techniken einsetzten. Die bekannteste Auseinandersetzung zwischen europäischen und südostasiatischen Streitkräften war der Kampf, der zwischen Ferdinand Magellans und Lapu-Lapus Truppen am 27. April 1521 bei Mactan stattfand.
In der konfliktreichen Geschichte des Landes entwickelten sich die Kampfkünste zu hocheffizienten Systemen, die erst vor Kurzem standardisiert und nun nach einem leicht verständlichen Trainingsplan gelehrt werden.
Von Escryma gibt es zahlreiche verschiedene Versionen, von denen bei den meisten das Waffentraining im Mittelpunkt steht. Anfangs wird mit einem Rattanstock gearbeitet, dem dann weitere Waffen folgen. So wird zum Beispiel auch mit dem Messer trainiert, denn in der Straßenkriminalität ist das die häufigste Waffe.
Wer jetzt diese zwei höchst effektiven Selbstverteidigungssysteme selbst erlernen möchte, der begibt sich montags und mittwochs jeweils von 18 bis 19 Uhr (Escryma) und von 19 bis 21 Uhr (Wyng Tjun) in den großen Saal des Festikuss auf Scheierhaff in Zolwer. Dort führt der erfahrene Sifu (Lehrer) Romain Thiel schrittweise in beide Kampfkunststile ein.
Die Kampfkunstschule in Zolwer ist im Übrigen eine Untersektion des ortsansässigen Turnvereins und Teil der ISMA (International Society of Martial Arts), dessen Gründer, der Großmeister H-J Remmel, jeden dritten Monat vorbeischaut, um die Fortschritte der Teilnehmer im Rahmen von zweitägigen Fortbildungskursen zu prüfen.
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