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Vorgezogene Neuwahlen in Ukraine: Verfassungsgericht gibt neuem Staatspräsidenten Selenskij recht

Vorgezogene Neuwahlen in Ukraine: Verfassungsgericht gibt neuem Staatspräsidenten Selenskij recht

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Die Ukrainer müssen in nur einem Monat erneut wählen, diesmal ein neues Parlament. Das Verfassungsgericht hat am Donnerstagabend eine Klage gegen die Parlamentsauflösung durch den neuen Staatspräsidenten abgewiesen.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Warschau

Wolodymyr Selenskij hatte die Werchowna Rada, das ukrainische Einkammerparlament, Ende Mai am Ende seiner feierlichen Amtseinführung überraschend aufgelöst und die schockierten Abgeordneten gebeten, ein neues Wahlrecht zu verabschieden.

Bisher hat das Parlament indes fast alle Gesetzesinitiativen des vom TV-Komiker zum Staatspräsidenten mutierten Selenskij abgewiesen. Die Wahlen finden deshalb nach dem alten korruptionsanfälligen gemischten System aus Parteilisten und Einerwahlkreisen statt. In Letzteren werden oft lokale Oligarchen gewählt, von denen viele später von politischen Parteien kaufbar sind. Die Werchowna Rada hatte dieses umstrittene System auch nach der Maidan-Revolution nicht geändert. Der letzte Versuch eines radikalen Wahlsystemwechsels stammte ausgerechnet von Selenskij, der selbst im Rufe steht, eine Marionette des Oligarchen Ihor Kolomojski zu sein.

Das Verfassungsgerichtsurteil kommt nun vor allem Selenskij zupass, der bisher im Parlament über keine eigene Fraktion verfügte. Der ehemalige Komiker will möglichst schnell Profit aus seinem Erdrutschsieg bei den Präsidentenwahlen gegen Petro Poroschenko schlagen und nun auch das Gesicht des Parlaments verändern. Seine 2016 gegründete Partei „Sluha Narodu“ („Diener des Volkes“) führt seit dem Präsidentenwahlkampf auch in den Umfragen für die ursprünglich für Oktober angesetzten Parlamentswahlen. Fänden die Parlamentswahlen jetzt statt, könnte Selenskij dank seiner Popularität gar mit einer absoluten Mehrheit rechnen.

Es kann sich noch einiges ändern

In Monatsfrist kann sich in der Ukraine allerdings noch einiges ändern. Im Wahlkampf tritt „Sluha Narodu“ mit den gleichen populistischen Forderungen an, mit denen Selenskij schon den Präsidentschaftswahlkampf gewonnen hat. So soll die Immunität von Parlamentariern und Richtern abgeschafft und eine direkte Demokratie mittels Referenden nach Schweizer System eingeführt werden. „Sluha Narodu“ will auch die Wirtschaft liberalisieren und Monopole abschaffen. Selenskijs Partei gibt sich pro-westlich und pro-europäisch, doch ist nicht ganz klar, was da wirklich dahinter steht, zumal einige Spitzenkandidaten zuvor für den nach Russland geflohenen ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch gearbeitet haben. Völlig neu bei Selenskijs Partei ist, dass keine bisherigen Parlamentarier auf den Listen toleriert werden.

Laut Umfragen kann „Sluha Narodu“ bei den Wahlen vom 21. Juli mit rund 47 Prozent der Stimmen rechnen. Sie ist damit leicht eingesackt, lag sie doch schon bei 51 Prozent. Aufsteigend mit rund 12 Prozent ist die zweitplatzierte, dezidiert pro-russische „Oppositionsplattform „Für das Leben“ des Putin-Freundes Wiktor Medwedtschuk, eines Polit-Urgesteins, das nach der Maidan-Revolution ausgerechnet von Poroschenko aus der Schamecke geholt wurde.

Dahinter halten sich mit je rund neun Prozent Poroschenkos Partei „Europäische Solidarität“ und Julia Timoschenkos „Batkiwtschina“ („Vaterland“). Die Fünf-Prozent-Hürde überspringen kann im Moment mit rund sieben Prozent auch die neue Partei „Golos“ („Stimme“) des bekannten Rockmusikers Wjatscheslaw Wakartschuk.

Keine Chancen haben laut den Umfragen bei den vorgezogenen Wahlen dezidiert rechte und rechtsextreme Parteien wie Oleh Ljaschkos „Radikale Partei“ oder „Swoboda“ (Freiheit). Chancenlos scheint aber auch die pro-europäische Reformpartei „Samopomisch“ („Selbsthilfe“) des Lemberger Bürgermeisters Andrij Sadowy. Ihr Scheitern wird Selenskij stärken. Welche Interessen „Sluha Narodu“ wirklich vertritt, ist nach wie vor unklar. Auf den vorderen Listenplätzen finden sich zwar Kandidaten aus dem Umfeld des Oligarchen Kolomojski, aber auch viele andere Politneulinge, darunter gar ein eingebürgerter Olympiasieger aus Ruanda.