AfD erobert erstes Landratsamt
Bundesweit im Umfragehoch und jetzt auch mit einem zählbaren Wahlerfolg: Die rechtspopulistische AfD hat zehn Jahre nach ihrer Gründung erstmals in Deutschland ein kommunales Spitzenamt erobert. Mit 52,8 Prozent gewann ihr Kandidat Robert Sesselmann am Sonntag die Landratswahl im Thüringer Kreis Sonneberg gegen seinen CDU-Konkurrenten Jürgen Köpper, der nur auf 47,2 Prozent kam.
„Das war erst der Anfang“, schrieb AfD-Chef Tino Chrupalla auf Twitter. „Wir überzeugen Mehrheiten mit unserer Politik für die Interessen der Bürger. So werden wir für Deutschland die Wende zum Guten erreichen.“ Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke sagte, von Sonneberg gehe ein „politisches Wetterleuchten» aus. Man wolle diesen Schwung mitnehmen für die kommenden Landratswahlen und sich dann auf die Landtagswahlen vorbereiten, wo man ein „politisches Erdbeben“ im Osten erzeugen könne. Kommendes Jahr stehen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg Landtagswahlen an.
Bei der Bundestagswahl 2021 war die AfD (Alternative für Deutschland) mit 10,3 Prozent nur fünftstärkste Kraft. Nun liegt sie mit Werten von bis zu 20 Prozent in einigen Umfragen vor den Sozialdemokraten von Bundeskanzler Olaf Scholz und als zweitstärkste Kraft hinter den Christdemokraten von Oppositionsführer Friedrich Merz.
Noch höher notiert sie im Osten der Republik: In Thüringen, aber auch in Sachsen und Brandenburg könnte sie bei den Landtagswahlen im Herbst 2024 stärkste Partei werden.
Die etablierten Parteien in Berlin sind in heller Aufregung. Die regierende „Ampel“-Koalition aus SPD, FDP und Grünen und die Christdemokraten (CDU/CSU) weisen sich wechselseitig die Schuld am Erstarken der Rechtspopulisten zu, während Meinungsforscher versuchen, die Motive der AfD-Sympathisanten zu ergründen.
Profitieren vom Unmut
„Die AfD profitiert einerseits von der Sorge einer wachsenden Zahl von Bürgern über das Ausmaß und die Folgen der Migration und andererseits von der Angst über die Kosten der Energie- und Klimapolitik der Regierung“, sagte der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter kürzlich der Deutschen Presse-Agentur. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, wiederum machte in einem Interview der Tageszeitung Welt einen „zunehmenden Unmut über den überbordenden grünen Zeitgeist“ in Deutschland als einen der Gründe für das Erstarken der AfD aus.
Die Zahl der Asylbewerber aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder der Türkei ist in diesem Jahr wieder stark gestiegen. Dörfer und Kreise ächzen unter den Schwierigkeiten, sie unterzubringen, zumal seit Kriegsbeginn im Februar 2022 auch mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine nach Deutschland kamen. Beim Thema Energie wiederum trieb die „Ampel“-Koalition mit ihrem ersten Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes viele Bürger auf die Barrikaden, die horrende Kosten für den Austausch ihrer Öl- und Gasheizungen befürchteten. Der Entwurf, mit dem die „Ampel“ mehr Klimaschutz erreichen will, wurde nun überarbeitet.
Von diesem Unmut profitiert die AfD, die 2013 als Partei der Eurogegner gegründet wurde. Im Laufe der Jahre ist sie nach rechts gerückt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (Inlandsgeheimdienst) hat die gesamte AfD als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft. Das Verwaltungsgericht Köln wies eine Klage der AfD dagegen ab, wogegen die Partei Berufung eingelegt hat. Der AfD-Landesverband Thüringen wird schon seit 2021 als „gesichert extremistisch“ eingestuft.
„Asylparadies Deutschland“
Die AfD fordert, Migranten ohne Einreiseerlaubnis an der Grenze zurückzuweisen, um „das Asylparadies Deutschland“ zu schließen. Dagegen will die „Ampel“ Zuwanderung und Einbürgerung erleichtern. Zur Energieversorgung setzt die AfD weiter auf Kohle, Atomenergie – und russisches Erdgas. Sie wendet sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Ihr recht prorussischer Kurs im Ukrainekonflikt findet im Osten Deutschlands durchaus Zustimmung, hat aber nach Einschätzung Güllners nicht zum jüngsten Umfragehoch beigetragen.
Bundeskanzler Scholz nannte die AfD eine „Schlechte-Laune-Partei“, die davon profitiere, dass sich viele Menschen „in einer Zeit der Umbrüche“ verunsichert fühlten. Anders sieht das AfD-Co-Chefin Alice Weidel. „Was sich hier widerspiegelt, ist, dass die Menschen es satt haben, das alles mit sich machen zu lassen, was hier aus der Ampel-Regierung kommt und natürlich auch aus der Vorgängerregierung“, sagte sie vorige Woche zum Umfragehoch.
Eine Zusammenarbeit mit der AfD lehnen alle übrigen Parteien strikt ab. Das könnte die Regierungsbildung nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland 2024 schwierig machen. Womöglich kämen nur noch sämtliche ideologische Gräben überbrückende Bündnisse aus Christ-, Sozialdemokraten, Grünen und Linken auf eine Mehrheit. Deutschland steuere „auf eine strukturelle Krise seines Parteiensystems zu“, warnte das liberal-konservative Magazin Cicero.
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