Jean Luc Melenchon ist ein politisches Urgestein. Es ist das Aushängeschild der politischen Linken in Frankreich. Es fühlt Politik und macht sie instinktiv. Jetzt rastet er aus.
Von Helmut Wyrwich
Jean Luc Melenchon eilt die Treppe zum Büro seiner Partei empor. Vor der Tür steht ein Polizist und blockiert ihn, daneben ein Staatsanwalt. Melenchon schreit den Polizisten an, schiebt den Staatsanwalt gegen eine Mauer. Als der ihn zurück schiebt, schreit er ihn an: «Fassen mich nicht an. Ich bin unantastbar (sacré). Ich bin die Republik . Ich bin Abgeordneter.» Einen Polizisten, der sich ihm in den Weg stellt, wischt er zur Seite. Der stürzt über einen Tisch , reißt einen Stuhl um, steht wieder auf und stellt sich Melenchon erneut in den Weg. Melenchon ist irre vor Wut. Er versucht, mit anderen Mitgliedern seiner Partei die Tür zu seinen Büros einzudrücken, rennt schließlich auf die andere Seite des Flurs, um dort zu versuchen, in seine Büros zu gelangen.
Melenchon sieht sich einer Reihe von Justizverfahren gegenüber. Eine rechtsradikale Abgeordnete hat den Linksradikalen denunziert. Er soll die Arbeitskraft einer parlamentarischen Assistentin im Europaparlament für andere Zwecke benutzt haben. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Finanzen ermittelt gegen ihn wegen des Verdachtes die Kosten des Präsidentschaftswahlkampfes 2017 zu hoch angesetzt und den Staat beim Ersatz der Wahlkampfkosten geschädigt haben. Melenchon argumentiert, dass die Kommission zur Prüfung der Wahlkampfkosten bei den Präsidentschaftswahlen seine Abrechnungen geprüft und genehmigt habe. Was er verschweigt: Wenn die Kommission Auffälligkeiten feststellt, kann sie die Staatsanwaltschaft darauf aufmerksam machen. Das ist geschehen. Der Prüfer verweist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass einzelne Positionen auffällig hoch sind. Er verweist auf Konstruktionen, die Geld zwischen zwei Institutionen hin und her schieben und mit denselben Mitgliedern der Partei der «Un-Unterdrückten (Les Insoumis) besetzt waren.
Melenchon beschuldigt Macron
Das Problem im Verfahren: Bei Vorermittlungen und damit verbundenen Hausdurchsuchungen sind die Polzisten alleine. Die Betroffenen müssen in ihren Büros nicht anwesend sein. Melenchon behauptet, dass die Durchsuchungen nur dazu dienen würden, Unterlagen zur Erhärtung von Vermutungen zu finden. Die Durchsuchungen seien auch gar nicht nötig gewesen, weil er und seine Partei der Staatsanwaltschaft alle Unterlagen von sich aus angeboten hätte. Von der Sache her könnte Melenchon glaubhaft sein. Statt gezielt zu suchen, nahmen die Polizisten alles mit: Computer, Notizbücher, Kalender, Strategiepapiere. Im Klartext: Sie wussten im Grunde nicht, wonach sie suchten. Der Senat, die zweite Kammer des französischen Parlamentssystems, hat in der Konsequenz der Ereignisse einen Gesetzesvorschlag verabschiedet, wonach bei solchen Durchsuchungen mindestens der Anwalt der Beschuldigten zugegen sein muss.
Melenchon hat entschieden, die Auseinandersetzungen mit der Justiz zu publizieren und zu politisieren. Die Durchsuchung seiner Wohnung dokumentiert und kommentiert er per Film mit seinem Handy. Sein Ausrasten bei der Durchsuchung der Büros läuft über alle französischen Fernsehstationen. Der Chef der Linksradikalen greift direkt den französischen Staatspräsidenten an, macht ihn verantwortlich für die Justizaktionen gegen ihn.
Ein Kampf an vielen Fronten
Die causa Melenchon macht etwas Tiefgehenderes deutlich: Die Justiziarisierung der französischen Gesellschaft. Wo immer sich Konflikte zeigen, wird die Justiz eingeschaltet. Die Ermittlungen der Justiz wiederum werden politisiert. Im Falle Melenchon liegt die Begründung darin, dass die Linksradikalen ihre Wahlkampfkosten aus Steuermitteln ersetzt bekommen hätten. Bei 19 Prozent der Wählerstimmen hätten ihm acht Millionen Euro zugestanden, Melenchon aber macht nur sechs Millionen Kosten geltend, sagt er. Das andere Problem: Die französische Justiz soll klären ob Rechnungen von Kommunkationsagenturen überhöht gewesen sein sollen. Damit ist sie jedoch überfordert.
Melenchon kämpft an vielen Fronten. Eine davon ist die französische Presse, die er nicht ausstehen kann. Journalisten, insbesondere des öffentlich-rechtlichen France Info, sind für ihn Lügner, Fälscher, Dummköpfe. Der Sender erstattet Strafanzeige gegen ihn. Der Chef der Linksradikalen seinerseits erstattet Strafanzeige gegen die linke investigative Medienplattform «Mediapart». Die hatte Auszüge aus den Durchsuchungsprotokollen veröffentlicht. Eine Journalistin, die ihm mit dem Akzent des französischen Südens eine Frage stellt, parodiert er und entgegnet, dass er sie nicht versteht, fragt dann, ob es einen Journalisten gebe, der eine Frage in Französisch stellen kann. Die Ironie darin: Melenchon ist Abgeordneter eines Wahlkreises von Marseille, wo man so redet wie die Journalistin es getan hat. Melenchon überschreitet Grenzen. Arrogant und überheblich in seiner Selbstdarstellung, verletzt er Menschen. Das hat unmittelbare Folgen bei der Wählerschaft. Seine Gunst bricht um bis zu acht Prozent ein.
Macron: «Die Justiz in Frankreich ist unabhängig»
Melenchon hat ein tief sitzendes Problem mit der derzeitigen politischen Situation in Frankreich. Im Prinzip sieht er sich als der bessere Präsident an und hat die Wahl von Emmanuel Macron zum Staatspräsidenten im Mai 2017 nie verwunden. Den ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl schloss er auf dem vierten Platz mit 19,6 Prozent der Stimmen ab. Der Volkstribun der französischen Linken, ein glänzender Redner, durch und durch gebildet, ein Politiker, der Menschen mitreißen kann, hatte einen Wahlkampf mit neuen Elementen geführt. Er nutzte einen eigenen You Tube Kanal oder trat als Hologramm hunderte Kilometer von einem Veranstaltungsort gleichzeitig bei einer zweiten Veranstaltung auf. Am Abend der Ergebnisse stand er fassungslos am Mikrofon und weigerte sich, seine Linksradikalen zur Wahl von Macron gegen die rechtsradikale Marine le Pen aufzurufen.
Selbst ehemaliger Minister, ehemaliger Senator, ehemaliger Europa-Abgeordneter, hat er ein tiefgreifendes Problem mit politischer Autorität. Den früheren Parlamentspräsidenten Francois de Rugy schrie er in einer Sitzung der Nationalversammlung an: «Wer glaubst Du eigentlich, wer du bist?» Mit seinen 17 Abgeordneten von 577 sieht er sich als die wichtigste Oppositionspartei an. Da sie im Parlament wenig ausrichten kann; suchte Melenchon den Weg in die außerparlamentarische Opposition mit Demonstrationen. Erfolg hatte er mit dieser Strategie nicht. Staatspräsident Emmanuel Macron lässt ihn abperlen. «Die Justiz in Frankreich ist unabhängig», antwortet er auf Fragen zur Causa Melenchon.
Dem Chef der Linksradikalen stehen weitere Auseinandersetzungen bevor. Die betroffenen Polizisten haben Anzeige gegen ihn erstattet. Seine Handgreiflichkeiten gegen Staatsanwalt und Polizisten hätten bei jedem normalen Bürger zu sofortiger Festnahme geführt. Aber: Melenchon genießt als Abgeordneter Immunität. Nicht auszuschließen, dass die Justiz ihre Aufhebung beantragt. Seinen Ton hat er zwischenzeitlich geändert. Er habe schließlich nur in seine eigenen Räume gelangen wollen, erklärt er in Straßburg fast milde, wo er den Europawahlkampf eröffnet. Die Europawahl will er zu einer großen Abstimmung gegen Staatspräsident Emmanuel Macron machen. Melenchon bleibt sich letztlich treu.
Der gute Mann scheint ja ein ordentlicher Choleriker zu sein. Ist auch toll, dass er Beweise gegen sich selbst aufzeichnet, damit wird der Anklage wegen seines Übergriffs auf Polizisten die Arbeit erleichtert werden. Ansonsten ist die französische Politik durch und durch korrupt, ein Blick in den Canard enchaîné beweist dies immer wieder, siehe die Affären von Le Petit Sarko.
Mélenchon hat ein Problem, er ist ein Choleriker. Mit Wut im Bauch und Aggressivität richtet er mehr Schaden an, als ihm lieb ist. Wer schreit und wütet ist immer im Unrecht.