Rund 22 Prozent der Menschen in Indien leben unter der absoluten Armutsgrenze. Das entspricht etwa 280 Millionen Personen. Obwohl die Wirtschaft des Subkontinents seit Jahrzehnten hohe Wachstumsraten aufweist, ist der Anteil der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, nicht nennenswert gesunken.
Das zeigt erneut, dass der so genannte «Trickle-Down-Effekt» – also die Vorstellung, dass wenn die Reichen reicher werden auch die Armen irgendwie davon profitieren – schlichtweg nicht existiert. Das Gegenteil ist der Fall: Es findet ein immer größerer Transfer von den niedrigen Einkommen hin zu den großen Vermögen. Wir können hier von einem «Trickle-Up-Effekt» sprechen.
Der einzige Weg diesen Effekt umzudrehen ist eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen. Das geht zum einen über deutlich höhere Löhne und Gehälter für die arbeitenden Menschen, aber auch über eine wesentlich höhere Besteuerung von großen Vermögen, Unternehmensgewinnen und sehr hohen Einkommen.
«Trickle-Down-Effekt» existiert nicht
Jetzt will auch Indien zumindest die ganz extreme Armut wirksamer bekämpfen. Heute wird jemand als absolut arm definiert, der weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag in Kaufkraftparität – auch lokale Kaufkraft genannt – zur Verfügung hat.
Als Kaufkraftparität bezeichnet man die Summe mit der man einen vergleichbaren «Warenkorb» kaufen kann. Auf europäische Verhältnisse übertragen hieße das, dass man mit weniger als 1,90 US-Dollar (1,79 Euro) in Europa pro Tag leben müsste. Da ist im Warenkorb nicht mehr viel drin.
Unlängst wurden Gedankenspiele der indischen Regierung für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens bekannt. Wie das britische Magazin The Economist berichtete überlegt die Regierung in Neu Delhi ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 7.620 Rupien pro Jahr einzuführen. Das entspricht rund 106 Euro, also rund 0,29 Cent pro Tag.
22 Prozent der Inder leben unter der absoluten Armutsgrenze
Nach Berechnungen der Regierung würde so der Anteil der Menschen in Indien, die unter der absoluten Armutsgrenze liegen von 22 Prozent auf weniger als 0,5 Prozent sinken, also von 300 Millionen auf 650.000.
Ein Pilotprojekt für ein bedingungsloses Grundeinkommen wurde im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh bereits 2010 gestartet. Das Modell könnte jetzt auf das ganze Land mit seinen 1,3 Milliarden Bewohnern ausgeweitet werden. Nach Angaben des Chef-Wirtschaftsberaters der Regierung in Neu Delhi, Arvind Subramanian, würde ein Grundeinkommen in besagter Höhe rund fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprechen.
Finanziert könnte das bedingungslose Grundeinkommen durch die Zusammenlegung bereits bestehender Sozialprogramme werden, von denen es aktuell rund 950 gibt. Zwar könnte bei 7.620 Rupien pro Jahr der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben, drastisch zurückgehen, das prinzipielle Problem der extremen Vermögens- und Einkommensunterschiede wäre in Indien damit aber nicht gelöst.
Höhere Steuern für große Vermögen
Ganz andere Anstrengen wären jedoch nötig um die extrem ungleiche Vermögensverteilung zu bekämpfen. In Indien bezahlen Unternehmen kaum Steuern, große Vermögen werden nicht oder nur minimal besteuert, und auch hohe Einkommen zahlen nur einen vergleichsweise geringen Steuersatz.
Insgesamt beträgt das Steueraufkommen Indiens nach Angaben der Weltbank deutlich weniger als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im Vergleich dazu: In Luxemburg waren es 2014 mit 25,8 Prozent fast dreimal soviel. In Deutschland liegt das Steueraufkommen bei rund 22 Prozent des BIP, in Frankreich bei 23 Prozent.
Durch eine stärkere Besteuerung von Unternehmensgewinnen, großen Vermögen und sehr hohen Einkommen könnte sich auch in Indien das Steueraufkommen schrittweise in Richtung der 20-Prozent-Marke bewegen. Damit stünden dann deutlich mehr Mittel für die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens zur Verfügung als bei dem aktuellen Gedankenspiel, wo nur rund fünf Prozent des indischen BIP dafür verwendet werden sollen.
Um einen größeren Gestaltungsspielraum zu haben sollen nach Überlegungen des Ökonomen Arvind Subramanian die 25 Prozent der wohlhabendsten Inder vom Bezug des Grundeinkommens ausgeschlossen werden. Damit bliebe unter dem Strich mehr für die restlichen 75 Prozent der Bevölkerung übrig.
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