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Große Diskrepanz

Große Diskrepanz
(Alain Rischard/editpress)

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Wahrnehmung und Realität in der Sportwelt

Die Welt-Antidoping-Agentur (WADA) hat mal wieder für Entrüstung in der olympischen Familie gesorgt. Nur einen Tag vor der Generalversammlung der Vereinigung der nationalen Olympischen Komitees (ANOC) in Doha hat sich die WADA doch nicht tatsächlich erlaubt, dem Labor aus der Gastgeberstadt die Akkreditierung zu entziehen.

Nachdem sich das einflussreiche IOC-Mitglied und ANOC-Präsident Scheich Ahmad Fahad Al-Sabah über diesen ungünstigen Zeitpunkt aufgeregt hatte, sah sich WADA-Präsident Craig Reedie, der am Wochenende für eine erneute Amtszeit von drei Jahren an der WADA-Spitze gewählt wird, zu einer Entschuldigung gezwungen.

In der Ringe-Familie mag man es halt nicht, unnötiges Aufsehen um solch lästige Angelegenheiten zu erregen. Irgendwie scheint man dort der Auffassung zu sein, dass man noch einen Ruf zu verteidigen hat. Schließlich sind es nur die Medien, die alles schlechtreden.

Wie etwa bei den Olympischen Spielen in Rio, die laut IOC-Chef Thomas Bach ein großer Erfolg waren und von der Presse schlechtgeredet wurden. Er wies auf den Unterschied zwischen „veröffentlichter und öffentlicher Meinung“ hin sowie zwischen „Wahrnehmung und Realität“.

Dabei wird man das Gefühl nicht los, dass sich das IOC – sofern das noch überhaupt möglich ist – immer weiter von genau dieser Realität entfernt. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass vor allem über den Zeitpunkt der Sanktion gegen das Labor in Doha diskutiert wird anstatt über den Grund, wieso es überhaupt so weit kommen musste?

Ähnlich verhält es sich mit dem McLaren-Report über das Staatsdoping in Russland. Auch hier fürchtet sich der Scheich scheinbar mehr über den Zeitpunkt als über den Inhalt des Berichts. Das Verhalten der Herren Funktionäre passt also immer noch nicht zu ihrer viel gepredigten Null-Toleranz-Politik in Sachen Doping.

Man fordert zwar einen unabhängigen WADA-Präsidenten
für die Zukunft, doch erst einmal unterstützt man noch das Familienmitglied Reedie, das bis zu den Olympischen Spielen in Rio noch die Position des IOC-Vizepräsidenten bekleidete. Man hat beim Internationalen Olympischen Komitee also nichts gegen eine unabhängige Dopingbehörde, solange man ein wenig Einfluss behält.

Sauberer Sport ist dann eben doch nicht die oberste Priorität, auch wenn man die Öffentlichkeit das gerne glauben lassen möchte. So langsam müsste auch der letzte Optimist verstanden haben, dass man sich hier besser nicht auf Bach und Co. verlassen soll.

Die Frage ist aber, auf wen man sich überhaupt verlassen kann. Staatliche Behörden scheinen nämlich auch weiterhin wenig Interesse an einem Wechsel zu haben. In Deutschland wird die Förderung des Spitzensports weiterhin an Medaillen festgemacht, in Frankreich sieht sich die nationale Anti-Doping-Agentur gezwungen, wegen finanzieller Engpässe rund 20 Prozent weniger Tests durchzuführen, und in Luxemburg gibt es zwar immer mehr Hochleistungssportler, doch das Budget der Anti-Doping-Agentur verändert sich nur unwesentlich.

In diesem Sinne kann man Thomas Bach nur zustimmen: Es gibt eine Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Realität.