Bei einer Konferenz über die Zukunft Libyens haben sich am Dienstag Außenminister und weitere Politiker aus rund 40 Staaten in London auf die Bildung einer internationalen Kontaktgruppe geeinigt. Im Land selbst machten Aufständische gegenüber den Regierungstruppen weiter Boden gut und griffen die Geburtsstadt des Machthabers Muammar al Gaddafi an. US-Präsident Barack Obama verteidigte das militärische Eingreifen in dem nordafrikanischen Land als moralische Notwendigkeit. Russland hingegen mahnte vor der Übernahme des Kommandos über den Einsatz durch die NATO erneut zu einem Ende der Luftangriffe.
Teilnehmer der internationalen Konferenz in London wollten nach Angaben des italienischen Außenministers Franco Frattini einen gemeinsamen Plan zur raschen Beendigung des Konflikts in Libyen vorlegen. Darin enthalten seien Vorschläge für eine Waffenruhe, der Gang ins Exil von Machthaber Muammar al Gaddafi und ein Rahmen für Gespräche über die Zukunft des Landes zwischen Stammesführern und Oppositionspolitikern.
Wer will Gaddafi?
Großbritannien und die USA signalisierten vor Beginn der Gespräche die Bereitschaft, einen Plan zu akzeptieren, wonach Gaddafi Libyen rasch verlassen und dafür einem Kriegsverbrechertribunal entgehen könnte. Frattini sagte am Montag, einige afrikanische Staaten könnten den Machthaber aufnehmen. Der stellvertretende libysche Außenminister Chaled Kaim erklärte bei einer Pressekonferenz in Tripolis, ausländische Politiker hätten kein Recht, dem Land ein neues politisches System aufzuerlegen. Libyen sei ein unabhängiges, souveränes Land, sagte Kaim.
Die libyschen Regierungstruppen konnten unterdessen einen ersten Angriff auf Gaddafis Heimatstadt Sirte abwehren. Mit Raketen und Panzergranaten schlugen sie die vorrückenden Rebellen in die Flucht, bevor diese eigene Raketenwerfer in Stellung bringen konnten. Unter dem Schutz von NATO-Kampfflugzeugen hatten die Kampfverbände der Opposition zuvor die in den vergangenen Wochen verlorenen Gebiete zurückerobert.
Eine symbolische Bedeutung
Sirte wird von den Mitgliedern des Gaddafi-Stamms dominiert und diente dem Machthaber als eine Art zweite Hauptstadt. Die Eroberung von Sirte hätte für die Opposition eine hohe symbolische Bedeutung und würde außerdem den Weg nach Tripolis freimachen. «Das ist die letzte Verteidigungslinie. Sie werden alles tun, um sie zu halten», sagte Rebellenkämpfer Twate Monsuri. «Gaddafi greift uns nicht an, er verteidigt sich jetzt.»
Die US-Marine meldete, zwei ihrer Kampfflugzeuge hätten mehrere Schiffe der libyschen Küstenwache ausgeschaltet. Eines der angegriffenen Schiffe habe Raketen auf den Hafen von Misrata abgefeuert. Ein Patrouillenflugzeug habe das Schiff beschädigt, das daraufhin an Land gefahren sei. Ein weiteres Flugzeug habe zwei kleinere Begleitboote angegriffen und eines davon zerstört, hieß es.
Weitere Gewalt verhindern
US-Präsident Obama verteidigte den Militäreinsatz in Libyen während einer Fernsehansprache am Montagabend (Ortszeit). Die Luftangriffe auf die Truppen von Gaddafi hätten weitere Gewalt gegen Zivilisten verhindert. «Würden wir unter solchen Umständen Amerikas Verantwortung als Führer ignorieren, wäre dies ein Verrat an uns selbst», sagte Obama. «Als Präsident weigere ich mich, auf Bilder von Gewalttaten und Massengräbern zu warten, bevor ich etwas tue.»
Der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogozin forderte hingegen ein Ende der Luftangriffe auf Libyen. Wenn das Militärbündnis das Kommando über den Einsatz übernehme, solle es sich auf die Sicherung des Waffenembargos und der Flugverbotszone konzentrieren. «Über diese beiden Dinge sollte die NATO nicht hinausgehen», sagte Rogozin nach einer Sitzung des NATO-Russland-Rats in Brüssel und bezeichnete den Libyen-Einsatz als einen «Lackmustest für die Aufrichtigkeit der NATO» in ihrem Bekenntnis zu einer strategischen Partnerschaft mit Russland.
Freiwilliger Rücktritt möglich
Der Oberkommandierende der NATO in Europa, US-Admiral James Stavridis, erklärte indessen, er halte angesichts des internationalen Drucks auch einen freiwilligen Rücktritt Gaddafis für möglich. Wenn die USA und ihre Partner sämtliche Machtmittel bündelten, bestehe mehr als eine begründete Hoffnung, dass Gaddafi gehe, sagte Stavridis vor einem Ausschuss des US-Kongresses in Washington. Nach Angaben aus Diplomatenkreisen wollen die USA einen Gesandten zu Gesprächen mit Aufständischen in der libyschen Stadt Bengasi entsenden.
Der libysche Regierungssprecher Mussa Ibrahim dementierte unterdessen in Tripolis Gerüchte, wonach Außenminister Mussa Kussa nach Tunesien geflohen sei. Der Minister war der amtlichen tunesischen Nachrichtenagentur TAP zufolge am späten Montagabend überraschend zu einem als privat deklarierten Besuch im Nachbarland eingetroffen.
Flüchtlingswelle Richtung Europa
Eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks teilte am Dienstag in Genf mit, dass seit Samstag mehr als 2.000 Menschen über das Meer aus Libyen nach Italien geflohen seien. Die Flüchtlinge stammten größtenteils aus Eritrea und Somalia. Unbestätigten Berichten zufolge seien einige Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer in Seenot geraten. Die meisten Flüchtlinge hätten aufgrund des andauernden Konflikts mehrere Wochen in Libyen festgesessen.
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