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Gaddafi laufen die Kommandeure davon

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Immer mehr Offiziere desertieren aus der libyschen Armee. Die Rebellen profitieren davon nicht – weil sie zu "nett" sind.

Auch wenn in Libyen seit Monaten eine Pattsituation herrscht, scheint es für Muammar al-Gaddafi zunehmend eng zu werden. Zwar ließ der libysche Machthaber am Samstag in einer Rundfunkansprache erneut Durchhalteparolen verlauten. Doch schon am Sonntag flog die Nato wieder Luftangriffe auf Ziele in Tripolis und die strategisch wichtige Hafenstadt Brega. Die Rebellen rückten am vierten Tag ihres Vorstosses auf Brega bis in Wohngebiete vor. Jetzt scheinen Gaddafi auch noch die Kommandeure auszugehen, welche seine Truppen gegen die Rebellen anführen.

Da immer mehr Militärangehörige desertieren, müsse das libysche Regime inzwischen Soldaten der Elite-Spezialkräfte als Kommandeure einsetzen, sagte ein libyscher Oberst, der selbst desertiert hatte, dem «Daily Telegraph». Die neuen Führer seien von der Elite-Kampftruppe, welche Gaddafis Sohn Khamis leite: «Aber die anderen sind frisch Rekrutierte und Freiwillige.» Nach sechs Monaten Krieg an verschiedenen Fronten sei die Belastung für die Regierung deutlich spürbar, so der Oberst.

Lügen und Todesdrohungen

In einer Krankenstation gefangen gehaltene Regierungssoldaten erzählten dem «Daily Telegraph», hunderte Männer aus armen Familien mit Wurzeln in Mali und Niger seien im Süden Libyens rekrutiert worden. «Mir wurden 500 Dinar versprochen, wenn ich kämpfe. Mein Vater starb vor langer Zeit und meine Familie brauchte das Geld», zitiert das Blatt einen 20-jährigen Soldaten aus Mali.

Laut Aussagen des Obersts und der Gefangenen werde versucht, die Soldaten mit Lügen und Todesdrohungen bei Stange zu halten. «Sie erzählten uns, dass wir gegen eine Al-Kaida-Invasion kämpfen. Vor wenigen Monaten sagten sie uns, Osama Bin Laden sei auf Besuch gekommen», so ein Gefangener aus den Sicherheitsbrigaden Gaddafis.

Einige Kämpfer seien zwar tatsächlich hartgesottene Regime-Anhänger. Aber 80 Prozent würden die Armee verlassen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten, sagt der Oberst, der selbst auf die Hilfe seiner früheren Offiziere angewiesen war, um zu fliehen. Viele Soldaten hätten kein Interesse daran, gegen andere Muslime zu kämpfen. «Aber es ist schwierig, zu fliehen. Wenn sie die Vermutung haben, dass man desertieren könnte, wird man sofort exekutiert», so der Oberst.

Zurückhaltende Rebellen

Auch wenn Gaddafi immer mehr Kommandeure verliert und die Nato weiter interveniert, hat sich an der Pattsituation bislang wenig geändert. Das könne aber auch daran liegen, dass die Rebellen offenbar Mühe haben, auf andere Libyer zu schießen, schreibt die «Washington Post». Unter den Aufständischen befänden sich zwar enthusiastische Revolutionäre, es mangle ihnen aber an Professionalität. Die meisten seien nur per Video-Spiele im Kampf ausgebildet worden. Einige sollen sogar zugegeben haben, manchmal mit dem Gewehr absichtlich über den Kopf ihrer Feinde zu schießen, da sie kein Blut vergiessen wollen.

Das sei aber vielleicht für einen späteren Frieden gar nicht so schlecht, meint die «Washington Post». Während wenige tausend, schlecht bewaffnete und kaum ausgebildete junge Rebellen in Flip-Flops vorrücken oder sich zurückziehen, finde eine ruhige aber möglicherweise genauso wichtige Revolution hinter den Frontlinien statt. Nach 40 Jahren Diktatur versammle sich dort eine Gesellschaft, die versuche, demokratische Konzepte für das Land zu entwickeln.

Euphorische Stimmung in befreiten Städten

Wo früher wegen staatlicher Zensur paranoide Stille geherrscht habe, gebe es jetzt in den befreiten Städten Medien-Center mit Satelliten-Internet und zahlreichen jungen Freiwilligen, die ein Manchester-Englisch sprechen und von der Neuheit des freien Internetzugangs besessen seien. Die Stimmung sei hoffnungsvoll. Die Mitglieder des neuen Stadtrates von Jadu würden sowohl Martin Luther King Jr. als auch den Koran zitieren.

Die Rebellen hätten zwar durchaus die Absicht, Gaddafi und seine Söhne von der Macht zu entfernen, sie seien aber laut eigenen Aussagen nicht bereit, hierfür viele Menschen abzuschlachten. «Denn später müssen wir zusammen ein Land aufbauen», erklärt Ibrahim Taher, ein Lehrer, der 130 Männer anführt. Kommandanten der Rebellenarmee sagen, sie wünschten, sie müssten keine Libyer erschiessen und es seien zu viele Familien im Weg, als dass man sich rasch vorwärts bewegen könnte.

Rebellen hoffen auf geeintes Land

Auf die Frage, welche Regierung man nach Gaddafi gerne hätte, sagte ein Mitglied der Übergangsregierung der Bergstadt Jadu: «Wir wollen ein Land voller Liebe, wo alle gleich sind. Wir sagen hier alle das gleiche: Wir wollen Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit, keinen Streit und keine Probleme, okay?»