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Frankreich legt Unternehmen an die Leine

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Bis Ende des Jahres soll in Frankreich ein Gesetz in Kraft treten, das es Unternehmen nicht mehr erlauben wird, Fabriken zu schließen.

Arnaud Montebourg, Minister für die Erhaltung und auch Wiedergewinnung industrieller Arbeitsplätze stand im Eingang des Rathauses von Florange. Nun beginne, rief er 300 Stahlwerkern von ArcelorMittal zu, ein Machtkampf mit dem weltgrößten Stahlkonzern. Und wenn ArcelorMittal sich weigere, die Hochöfen in Florange wieder anzublasen, dann werde man den Stahlhersteller verpflichten, sie zu verkaufen. Werbewirksam zog er ein rotes Blatt Papier aus seiner Manteltasche. „Hier ist das Gesetz“, rief er.

Tatsache ist: ArcelorMittal ist Auslöser für dieses Gesetz. Die Stahlwerker in Florange haben es fertiggebracht, dass ihre beiden Hochöfen in Frankreich zum Symbol eines zu stoppenden Niedergangs der Industrie geworden sind. Und: Der Wille des Stahlkonzerns, die beiden Hochöfen nicht wieder anzublasen, hat die Politik mit dem Rücken an die Wand gestellt. Hier steht Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Alle wichtigen Sozialisten bis hin zu Staatspräsident Francois Hollande, waren im Präsidentschaftswahlkampf in Florange und haben den Stahlwerkern zugesichert, dass die Hochöfen wieder angeblasen würden. Vergessen wurde dabei, dass nicht die Politik in privaten Unternehmen das Sagen hat, sondern Aktionäre, Verwaltungsrat und Vorstand. Das gilt selbst dann, wenn es sich wie bei ArcelorMittal mehr oder weniger um ein an der Börse notiertes Familienunternehmen handelt.

Staat muss handeln

Der französische Staat muss nun handeln, nachdem sowohl die Generaldirektion in Frankreich in Verhandlungen mit Minister Montebourg als Lakshmi Mittal in Verhandlungen mit Staatspräsident Francois Hollande hart geblieben sind. Frankreich hat sich mit Ankündigungen der Sozialisten schon im Wahlkampf in Zugzwang gebracht. Das Gesetz, das Arnaud Montebourg angekündigt hat, schreibt Unternehmen vor, Fabriken, die sie schließen wollen, alternativen Anbietern zum Kauf anzubieten. Im Klartext: Unternehmen haben in Frankreich in der Zukunft kaum noch eine Möglichkeit, Fabriken zu schließen. Im Extremfall werden sie eine Fabrik an ihren Konkurrenten verkaufen müssen, statt sie zu schließen. Der Preis soll von einem Gericht festgelegt werden. Im Falle Florange ist es die Politik, die den Preis festlegt. Arnaud Montebourg verlangt den Verkauf an den Staat für einen symbolischen Euro. Wie es heißt, soll Lakshmi Mittal mit dem Verkauf einverstanden sein. Der Staat will am Montag bereits beginnen, einen Käufer zu suchen.

Mit dem Gesetz sind zahlreiche Probleme verbunden. Kaum jemand in Florange geht davon aus, dass sich wirklich ein Käufer für die Hochöfen findet. Sie produzieren flüssiges Eisen, und dann? Was soll damit geschehen, wenn nicht auch die Eisenveredlung und dann die Walzstraßen mit zu veräußern wären, mithin das gesamte integrierte Stahlwerk. Ausgeblasen wurden allerdings nur die Hochöfen und nur um die geht es. Auch die neuen Besitzer der Hochöfen müssten Kohle und Eisenerz per Schiff über den Atlantik und Rhein und Mosel heranschaffen lassen. Grundstoffe, die möglicherweise von ArcelorMittal sogar an die neuen Besitzer verkauft würden. Florange würde also weiter mit hohen Materialkosten arbeiten, die die Rentabilität in Frage stellen.

In Hamburg, das als See-Standort eingestuft wird, hat der Vorstandsvorsitzende vor einigen Wochen gegenüber der deutschen Presse erklärt, dass ein Gewinn von 20 Millionen Euro nicht ausreicht, um das ArcelorMittal Stahlwerk zu erhalten. Hinzu kommt: In Florange wird damit argumentiert, dass man super-harten Stahl herstelle, der in der Automobilindustrie sehr geschätzt werde. Das ist ein Verfahren, das im Forschungslabor von ArcelorMittal in der Nähe von Metz hergestellt wurde. Das Verfahren gehört ArcelorMittal. Es ist kaum damit zu rechnen, dass der luxemburgische Stahlkonzern dieses know how den Käufern überlässt.

Es geht um Patente

Das Beispiel ArcelorMittal Florange zeigt, dass Frankreich zwar seine Unternehmen an die Kette legen will, aber damit ein Gebirge von Problemen schafft, das durch Gesetze nicht zu lösen ist. Denn die Probleme von Florange entstehen in jedem anderen Fall auch. Es geht nicht nur um Gebäude und Arbietsplätze. Es geht vor allem um das Wissen, um Patente. Und die werden eben nicht mit verkauft. Und es geht um einen Markt, in dem ein Unternehmen sich zu behaupten hat. Minister Montebourg blendet das aus.

Mit dem angekündigten Gesetz darf der Automobilkonzern Peugeot/Citroen, der im Norden von Paris eine Fabrik schließen und 8.000 Mitarbeiter entlassen will, diese Fabrik nicht schließen, sondern muss sie zum Verkauf anbieten. Peugeot/Citroen ist ein gutes Beispiel für eine verfehlte staatliche Industriepolitik, die dann die Konsequenzen auf die Unternehmen abwälzt. Peugeot/Citroen hat gemäß der Devise des „wirtschaftlichen Patriotismus“ und der Leitlinie „in Frankreich produzieren“, seine Autos überwiegend in Frankreich produziert und verliert mit jedem produzierten Auto Geld, insgesamt um die 200 Millionen Euro pro Monat. Die deutschen Konkurrenten verdienen mit jedem produzierten Auto Geld.

Peugeot/Citroen schließt eine Fabrik und muss sich nun von Staatspräsident Hollande und Minister Montebourg Fehler im Management vorhalten lassen. Audi baut in Deutschland eine neue Fabrik. Der Unilever Chef, der in Frankreich eine Produktion aufgeben und die dazu gehörende Fabrik schließen will, warnt. Mit diesem Gesetz sei Frankreich für internationale Konzerne als Investitionsstandort nicht mehr interessant.

Bei ArcelorMittal mitreden

Mit der Ernennung von Arnaud Montebourg zum Minister für den Erhalt industrieller Arbeitsplätze hat sich der französische Staatspräsident einen sprach- und redegewandten, hoch-intelligenten Interventionisten zugelegt. Mit der Begründung, man zahle das Kurzarbeitergeld, will Montebourg bei ArcelorMittal mitreden. Mit der Begründung, man habe Forschungsgelder zur Verfügung gestellt, will Montebourg dem Automobilhersteller Peugeot/Citroen sagen, wie das Unternehmen zu führen sei. Mit der Begründung, das Unternehmen mache 5,7 Milliarden Euro Gewinn und die Dividende an die Aktionäre sei zu hoch, schraubt Montebourg einen Sozialplan bei dem Pharmahersteller Sanofi von 1.350 Personen auf 900 herunter.

Die Politik, letztlich den Staat alle wirtschaftlichen Entscheidungen der Unternehmen treffen zu lassen, findet in einem neuen Ausdruck ihren nächsten Schritt. „Börsen-Entlassungen“ (licenciement boursier) heißt er. Danach sollen Unternehmen, die Gewinn machen, sich von Mitarbeitern nicht mehr trennen dürfen. Dieser – bisher moralische Anspruch – findet sich immer stärker in der politischen Auseinandersetzung wieder.

Kein Geld für Sozialplan

Die Deutsche Bank hatte sich vor Jahren, als sie eine Kapitalrendite von 25 Prozent erwirtschaftet hatte, restrukturiert und sich dabei von 10.000 Mitarbeitern getrennt. Die Bank gehört zu den wenigen, die – anders als ihre französischen Konkurrenten – in der kurz danach ausbrechenden Krise von 2007 / 2008 keine Staatshilfe brauchten, um zu überleben. Der Chef des französischen Crédit Mutuel sagt dazu: „Wenn man in Schwierigkeiten ist und kein Geld mehr hat, dann hat man auch kein Geld mehr für einen Sozialplan.“ Mit anderen Worten: In guten Zeiten restrukturieren sich die Unternehmen, weil sie dann das Geld für Abfindungen und für Sozialpläne haben.

In der neuen Wirtschaftspolitik Frankreichs sieht es so aus, als ob dieser Lehrsatz durch den Begriff der Börsen-Entlassung umgedreht werden könnte. Den Unternehmen würden weitere Gestaltungsräume genommen. Letztlich ist Frankreich dabei, seinen Unternehmen die Freiräume zur Gestaltung zu nehmen und sie an die staatliche Leine zu legen.

Jubel und Pfiffe

Die Gewerkschaftsvertreter in Florange, die am 28. September Minister Montebourg umgaben, jubelten. Man könne nun beginnen, nach einem Käufer zu suchen, kündigten sie an. Ihre Kollegen, die hinter Absperrgittern standen, antworteten mit Pfiffen.

Der Jubel kam ein wenig früh. Noch gehört Florange ArcelorMittal. Am Montag erst will der Konzern verkünden, ob er die Hochöfen wieder anbläst oder ob er Florange für einen symbolischen Euro an den französischen Staat verkauft. Der käme dann zwar in den Besitz der letzten lothringischen Hochöfen. Er müsste aber auch zeigen, dass er es besser machen kann als ArcelorMittal.