Frankfurt dürfte im Vergleich zu anderen großen europäischen Finanzplätzen am meisten vom Brexit-Votum Großbritanniens profitieren. Das zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die Stadt am Main hat demnach im Wettbewerb mit Paris, Dublin und Luxemburg die besten Chancen, aus London verlagerte Arbeitsplätze und Firmen anzuziehen. «Es ist sehr wahrscheinlich, dass Frankfurt am meisten vom Brexit-Votum profitiert», sagte Michael Voigtländer, Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte des IW.
Nach dem Brexit-Referendum ist es ungewiss, ob Geldhäuser weiter von London aus Finanzgeschäfte in der gesamten EU betreiben dürfen. Für den sogenannten EU-Pass reicht ihnen bisher die Zulassung in Großbritannien. Das nutzen gerade große US-Banken. Mehrere Banken haben schon angekündigt, Jobs zu verlagern. Die Lobbyvereinigung «Frankfurt Main Finance» rechnet mit 10.000 neuen Arbeitsplätzen am Main binnen fünf Jahren.
Gewichtige EZB
Für Frankfurt, so das IW, spreche der Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB), die Verantwortung für die Geldpolitik und Aufsicht über die größten Banken der Eurozone vereint, sowie weiterer wichtiger Behörden wie der europäischen Versicherungsaufsicht Eiopa und des Risikorats ESRB.
In Paris habe zwar die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihren Hauptsitz, doch diese sei für die Finanzbranche weniger bedeutsam als die EZB. «Die Nähe zur Notenbank ist wichtig für Banken, da sie so direkt mit der Aufsicht kommunizieren können», sagte IW-Professor Voigtländer. Die EU-Institutionen in Luxemburg (Rechnungshof, Europäische Investitionsbank, Europäischer Investitionsfonds, Eurostat) spielen laut Studie für die Finanzbranche angeblich keine große Rolle.
Luxemburg beheimate zwar eine große Fondsbranche, schneide aber ebenso wie Dublin bei der Infrastruktur schlechter ab. Frankfurt sei dank des großen Flughafens deutlich leichter zu erreichen. Dort werden jährlich 56,4 Millionen Passagiere gezählt. Die Passagierzahl für Paris liegt bei 61 Millionen. New York empfängt 47,6 Millionen Personen, London gar 69,4 Millionen. Da haben Dublin mit 20,2 Millionen Reisenden und Luxemburg mit nur 2,5 Millionen keine Chance.
Günstige Immobilienpreise
Ferner punkte die Stadt mit leicht verfügbaren Gewerbeimmobilien. Rund 12 Prozent der Büroflächen sind noch frei. Dublin liegt mit 8,4 Prozent schon weit dahinter, Paris mit 6,8 Prozent und Luxemburg mit 4,4 Prozent sind deutlich abgeschlagen. Das wirkt sich auch auf die Preise aus. „In Paris sind die Büromieten für hochwertige Immobilien fast 50 Prozent höher als in Frankfurt“, sagte IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer. In Paris muss man im Monat 60,1 Euro pro Quadratmeter einplanen, in Frankfurt nur 39,5 Euro.
Hier kann aber Luxemburg auch punkten. Der durchschnittliche monatliche Quadratmeter-Preis liegt hierzulande mit 46 Euro tiefer als zum Beispiel in Dublin (51,6 Euro), London City (83,3 Euro) oder eben Paris. Die höchsten Preise für Büroflächen findet man in New York, in Midtown/Manhattan, mit satten 123,5 Euro.
Außerdem biete Frankfurt eine höhere Lebensqualität als die Konkurrenz, dank guter medizinischer Versorgung und Infrastruktur sowie weniger Kriminalität. In einem Ranking der Unternehmensberatung Mercer stehe die Stadt auf Platz 7, Luxemburg auf Platz 19, Dublin auf Platz 33 und Paris an 37. Stelle. Auch wenn Lebensqualität eine Frage der Vorlieben sei: «Mit seiner bereits starken Position als Finanzstandort für den europäischen Binnenmarkt könnte Frankfurt weitere Banken und Investoren anziehen», folgert das IW.
London bleibt wichtig
London werde aber trotz Brexit-Votum wichtigstes Finanzzentrum in Europa bleiben, meinen die Wirtschaftsforscher. Dafür sprechen auch die Kräfteverhältnisse: In London arbeiteten gemäß Zahlen der Landesbank Helaba Ende 2015 rund 144.000 Menschen in der Bankenbranche, in Frankfurt waren es 62.500. In Luxemburg arbeiten über 45.000 Personen im Finanzwesen.
Bis britische Banker an den Main ziehen, dürfte auch noch etwas Zeit vergehen, sagte Voigtländer. Großbritannien hat noch nicht den Austritt aus der EU beantragt und steht vor langwierigen Verhandlungen über die Handelsbeziehungen. «Erst 2017 dürfte spürbar werden, wie groß die Jobverlagerungen aus London ausfallen.»
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