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Die iranische Atomkatastrophe

Die iranische Atomkatastrophe

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Iran buttert Milliarden in sein AKW, das keinen Strom produziert. Nach der Katastrophe in Japan kommen Zweifel an Sicherheit und Sinn des Projekts auf.

Wirklich erstaunt war niemand, als Iran Ende Februar technische Probleme in seinem Atomkraftwerk Buschehr meldete und alle zuvor eingesetzten russischen Brennstäbe wieder aus dem Reaktorkern entfernen musste. Zu oft haben sich Bau und Inbetriebnahme in der Vergangenheit verzögert. Spekulationen über die Gründe der neuerlichen Panne reichten vom Computerwurm «Stuxnet» bis zu gewollter Sabotage durch die russischen Ingenieure, die den iranischen Beteuerungen, ihr Atomprogramm sei rein ziviler Natur, nicht mehr glauben. Der Nuklear-Experte David Albright sagte damals der «New York Times», der Vorfall werfe Fragen auf, «ob Iran überhaupt in der Lage sei, einen Atomreaktor sicher zu betreiben». Knapp drei Wochen später nahm die Atomkatastrophe in Japan ihren Lauf.

Zum ersten Mal sah sich die iranische Führung gezwungen, sich zur Sicherheit ihres AKWs zu äussern. Zusammen mit ihren russischen Partnern erklärte sie, das Werk erfülle «sämtliche Sicherheitsbestimmungen und die höchsten Standards» und verwies auf das im Vergleich hohe Alter der japanischen Reaktoren.

Doch die in Buschehr verwendete Technologie ist keinesfalls auf dem Stand des 21. Jahrhunderts. Den Grundstein legten die Deutschen bereits 1975 in der Schahzeit. Was davon nach dem Krieg gegen den Irak übrig blieb, versuchen die Russen seit 1995 vergeblich zu einem funktionstüchtigen Kernkraftwerk zu verbauen. Kommt hinzu, dass in der Region Buschehr am Persischen Golf die eurasische und arabische Kontinentalplatte aufeinandertreffen und regelmässig schwere Erdbeben verursachen.

Atomenergie als nationales Prestigeprojekt

Präsident Mahmud Ahmadinedschad ist es während seiner Amtszeit gelungen, die Atomkraft als naturgegebenes Recht der iranischen Nation hinzustellen, das ihm der arrogante Westen streitig machen will. In dieser patriotisch aufgeladenen Optik war kein Platz für Sicherheitsüberlegungen. Bei allem Widerstand gegen ihre Innenpolitik konnte sich die iranische Führung stets auf breite Zustimmung in der Bevölkerung für ihr Atomprogramm verlassen. Auch die Opposition stellte es nie in Frage. Die Sorgen des Westens beschränkten sich auf einen militärischen Missbrauch, also die geheime Herstellung von Atomwaffen. Dass durch einen Unfall Menschen im Iran zu Schaden kommen könnte, kam niemandem in den Sinn.

Der dissidente iranische Geistliche Hassan Yousefi Eshkevari ruft in einem Interview mit «Radio Free Europe» seine Landsleute dazu auf, die tragischen Ereignisse in Japan zum Anlass zu nehmen, das eigene Atomprogramm endlich kritisch zu hinterfragen. Intellektuell seien sie dazu zweifellos in der Lage, doch fehlten eine freie Presse oder andere Foren, um das heikle Thema offen zu erörtern. Eshkevari rät deshalb den Iranern, die wie er im Ausland leben, die Diskussion anzustossen und in den Iran zu tragen. Die Menschen dort seien gut vernetzt und viele würden sich über ausländische Medien informieren. So könne langsam Druck auf die Regierung aufgebaut werden.

Kernenergie büsst Prestigecharakter ein

Diese steht nach der Atomkatastrophe in Japan vor einem Scherbenhaufen. Dass das AKW Buschehr eine betriebswirtschaftliche Katastrophe ist, war bereits vorher klar. Auch wenn es eines Tages ans Netz gehen sollte, wird es vermutlich nie die gigantischen Summen, die es seit Baubeginn 1975 verschlungen hat, amortisieren. Bei voller Leistung wird es gerade einmal zwei Prozent des aktuellen iranischen Strombedarfs abdecken. Noch schwerer als diese Mängel dürfte für die iranische Führung aber der drohende Prestigeverlust wiegen.

Der Kreis jener Länder, die Atomkraftwerke betreiben ist auch 60 Jahre seit dem Bau des ersten kommerziellen Atomreaktors immer noch exklusiv. Doch die Katastrophe in Japan hat der Technologie ihren Glanz geraubt. Die führende Industrienationen sprechen plötzlich über erneuerbare Energien, die die verpönte Kernenergie ersetzen sollen. Der einzige vermeintliche Vorzug des iranischen Atomprogramms, sein Prestigecharakter, löst sich damit auf. Das Debakel ist komplett: Teuer, ineffizient, gefährlich und ohne Prestige. Vernichtender kann die Bilanz eines Projekts nicht ausfallen.