Am 31. März ist es soweit: Die Komoreninsel Mayotte erhält den Status eines französischen Überseedepartements. Von diesem Zeitpunkt an ist die Insel, die zwischen Madagaskar und der afrikanischen Ostküste liegt, das 101. Departement Frankreichs und damit Teil der Europäischen Union. Die Mahorer, wie die Einwohner von Mayotte genannt werden, haben sich am 29. März 2009 mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 95,2 Prozent zu diesem Schritt entschlossen.
Dass die Mahorer dem Statuswechsel von einer Überseekörperschaft zu einem Überseedepartement so deutlich zustimmten, hat handfeste Gründe. Als vollwertige Franzosen haben sie Anspruch auf deutlich höhere Sozialleistungen. In einem Gebiet, in dem die Arbeitslosigkeit rund 30 Prozent beträgt, ein nicht zu unterschätzender Anreiz. Allerdings werden die Beiträge nicht sofort auf europäisches Niveau steigen. Zunächst erhalten die rund 186.000 Mahorer lediglich ein Viertel der Sozialleistungen der Festlandfranzosen. Für eine vollständige Angleichung ist eine Übergangsfrist von 20 Jahren vorgesehen. Ab 2014 wird auch das französische Steuersystem gelten.
Nun gilt französisches Recht
Die Departementalisierung bringt Mayotte neben mehr Geld auch weitere tiefgreifende Veränderungen. Bisher galt auf der Insel das islamische Gesetz der Scharia. Die sozialen, juristischen und religiösen Funktionen wurden durch die «Kadis», islamische Richter, ausgeübt. Mit der Übernahme der französischen Rechtssprechung 2010 haben sie deutlich an Einfluss verloren und dürfen nur noch als gesellschaftliche Vermittler amten. Damit können sich nicht alle Kadis abfinden und haben bereits Befürchtungen geäußert, dass die weltliche Rechtssprechung den Islam auf Mayotte verwässern könnte.
Tatsächlich müssen die Mahorer von einigen traditionellen Gepflogenheiten, die mit dem europäischen Rechtsempfinden nicht vereinbar sind, Abschied nehmen. So hat die in vielen islamischen Ländern gebräuchliche Polygamie (Vielweiberei) auf Mayotte keine Zukunft mehr. Das Heiratsalter wird von 15 auf 18 Jahre angehoben und der religiösen Vermählung muss eine zivile Trauung vorausgehen. Abgeschafft wird auch der Heiratsvormund oder Wali, der bei einer islamischen Heirat zwingend vorgeschrieben ist. Grundsätzlich sind künftig alle Bürger nach dem republikanischen Motto «Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit» vor dem Gesetz gleichgestellt, egal ob Mann oder Frau.
Frankreichs Interessen
Die Angleichung des Lebensstandards auf Mayotte kommt Frankreich teuer zu stehen. Laut der französischen Regierung wurde für den Übergang ein Fonds zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung in Höhe von 30 Millionen Euro eingerichtet. Doch die wahren Kosten sind weitaus höher. 2009 unterstützte Paris Mayotte mit 635 Millionen Euro und Beobachter rechnen damit, dass der jährliche Beitrag weiter ansteigen dürfte.
Doch die Regierung in Paris ist bereit, zu bezahlen. Zum einen löst Präsident Nicolas Sarkozy mit der Departementalisierung ein Versprechen aus dem Wahlkampf von 2007 ein, andererseits rechnet er wohl für die Wahl 2012 mit zehntausenden dankbaren Stimmen aus dem 101. Departement. Die Lage im Indischen Ozean ist für Frankreich zudem von strategischer und militärischer Bedeutung. Paris hofft auch, dass die Insel, begünstigt durch ihre Nähe zum südlichen Afrika, zu einem wichtigen wirtschaftlichen und touristischen Zentrum wird. Schließlich kann das neue Departement innerhalb der EU als «Gebiet in äusßerster Randlage» mit europäischen Subventionen rechnen.
Komoren erheben Anspruch auf Mayotte
Bei der Eingliederung Mayottes geht es aber auch darum, den Status der Insel als Teil Frankreichs zu zementieren. Mayotte ist die einzige Komoreninsel, die 1974 auf die Unabhängigkeit verzichtet hatte. Seither erhebt der Staat der Komoren, der die restlichen Inseln des Archipels umfasst, Anspruch auf das Gebiet. Insgesamt zwanzig UNO-Resolutionen stützen diesen Anspruch. Völkerrechtlich gesehen ist die Zugehörigkeit Mayottes zu Frankreich damit illegal. Mit der Integration des Überseegebiets in die Republik dürfte es für die Komoren aber künftig noch schwerer werden, ihre Ansprüche durchzusetzen.
Die Unzufriedenheit der Komoren gründet auch darauf, dass die Komorer seit 1975 auf Mayotte als Ausländer oder illegale Einwanderer betrachtet werden. Eine Situation, die sich Mitte der 1990er-Jahre mit der Einführung des sogenannten «Balladur-Visums» noch verschärft hat. Unter dem damaligen Ministerpräsidenten Edouard Balladur gestaltete Frankreich die Einreisevorschriften für die Komorer deutlich restriktiver. Trotzdem leben schätzungsweise 60.000 Komorer illegal auf der französischen Insel.
Der Meeresfriedhof
Und die deutlich besseren Lebensbedingungen im französischen Territorium ziehen jedes Jahr zehntausende weitere illegale Einwanderer an. Mit kleinen, «Kwasa-Kwasa» genannten Schiffen machen sie sich auf die rund 70 Kilometer weite Überfahrt. Doch viele kommen nie an. Dutzende sterben jährlich beim Versuch, auf überfüllten Booten Mayotte zu erreichen. Menschenrechtsorganisationen sprechen denn auch von einem regelrechten «Meeresfriedhof», der Mayotte von der Komoreninsel Anjouan trennt. So wird die illegale Einwanderung auch nach der Departementalisierung ein Hauptproblem für die bereits dicht besiedelte Insel bleiben, die wie andere EU-Überseegebiete nicht Teil des Schengenraums ist.
Ob dem Departement Mayotte Erfolg beschieden ist, wird sich zeigen. Die Erfahrungen aus den vier anderen Überseedepartements La Réunion, Französisch-Guyana, Guadeloupe und Martinique, zeigen, dass die lokale Bevölkerung viel profitieren kann. Mit dem Geld aus Paris konnte in diesen Gebieten die Infrastruktur ausgebaut und der Handel intensiviert werden. Die Lebenserwartung wurde gesteigert und die Analphabetenquote gesenkt. Trotzdem hängen diese Gebiete bis heute am Tropf des französischen Staates. Und die Chancen, dass das bei Mayotte dereinst anders sein wird, stehen schlecht.
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