Samstag27. Dezember 2025

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Der bittere Beigeschmack aus Baku

Der bittere Beigeschmack aus Baku
(AFP)

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Politik spielt normalerweise beim Eurovision Song Contest keine Rolle. In Aserbaidschan ist und war das diesmal anders. Doch die staatliche Imagepflege ging in die Hose.

Erst hat Regen in der Nacht zum Sonntag das Public Viewing des Eurovision Song Contest (ESC) in Baku gestört. Dann wurde das von den ESC-Organisatoren erhoffte unpolitische Musikfest endgültig verhagelt – denn gewonnen hat ausgerechnet die schwedische Kandidatin Loreen. Sie war die einzige der offiziellen Teilnehmer aus 42 Nationen, die sich direkt vor dem ESC mit der Menschenrechtsinitiative «Sing For Democracy» traf. «Wir verurteilen das aufs Schärfste», sagte Präsidentensprecher Ali Hasanow nach dem an sich harmlosen Treffen von Loreen. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) müsse intervenieren, forderte Hasanow am Donnerstag in einem Interview mit der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Trend. Der ESC in Baku taugt zum Lehrstück für fehlgeschlagene staatliche Imagepflege.

Zahlreiche europäische Medien informierten in den vergangenen Tagen aus Baku umfassend über die dunklen Seiten hinter der funkelnden Fassade des ESC. Viele Journalisten erlebten bei regierungskritischen Demonstrationen hautnah mit, wie Zivilpolizisten und uniformierte Beamte jeden friedlichen Protest erstickten. Bilanz der oppositionellen Sammelgruppe «Volkskammer» am Sonntag: Fast 40 Aktivisten in Haft.

ESC politisierte wie wohl noch nie

«Sie wollen Hochzeit feiern und plötzlich kommen Gäste, die nur Ärger machen», kommentierte der aserbaidschanische Schriftsteller Cingiz Abdullajew die Situation im Gespräch mit dapd. Abdullajew hat nach eigenen Angaben 26 Millionen Bücher verkauft, findet Leser in 28 Sprachen. Er ist als «Volksschriftsteller» geehrt worden, schreibt hauptsächlich Krimis, fühlt sich auch im Ausland daheim. «Die ganze Welt schaut rund um den ESC auf uns. Wir wollen, dass alles gut geht», sagte der 53-Jährige.
Aber bei der Frage, was unter «gut» zu verstehen ist, kommen die Kaukasusrepublik und EU-Staaten auf keinen gemeinsamen Nenner. Erst am Donnerstag verabschiedete das Europaparlament in Straßburg eine Resolution mit 19 Forderungen an das offizielle Baku. Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Schutz von Menschenrechten, politische Gefangene – alle wunden Punkte finden sich in dem Text.

Die Tage vor dem ESC waren für Aserbaidschan auch in anderer Hinsicht ein Albtraum. Das Internationale Olympische Komitee sortierte die kostspielige Olympia-Bewerbung von Baku für 2020 frühzeitig aus – wie beim ESC hatten die Lobbyisten anscheinend nicht begriffen, was die Weltgemeinschaft von Großereignissen erwartet.

Der Präsident schweigt

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew ging derweil in den vergangenen Wochen auf Tauchstation. Noch am 27. Dezember 2011 hatte Alijew ein Dekret erlassen, das «umfassende Reformen zu Menschenrechten und sozialen Grundfreiheiten» auf den Weg bringen sollte. Wie auch Außenminister Elmar Mammadjarow verweigerte Alijew den angereisten Journalisten jetzt jedoch jegliches Interview zu den aktuellen Vorfällen.

Während in den Monaten März und April erstmals seit fast einem Jahrzehnt wieder friedliche Demonstrationen von Regierungskritikern möglich waren, schlug im Mai die Stimmung in Baku wieder um. Wenn «Sing For Democracy» oder die «Volkskammer» Proteste organisierten, reagierte der Staatsapparat ohne Augenmaß. Wessen Gesicht bekannt war oder wer nur einmal «Freiheit» rief, wurde mit rabiaten Methoden festgesetzt. Selbst die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Westen stehen neuerdings auf dem Prüfstand. Das viel gepriesene Pipeline-Projekt «Nabucco» sollte aserbaidschanisches Gas in die EU transportieren – liegt aber auf Eis. Baku favorisiert seine eigene Lösung, eine Pipeline in die Türkei. «Für die Beziehungen zwischen Baku und Brüssel ist das alles wenig hilfreich», sagt ein EU-Diplomat.

Aserbaidschan sucht seinen Weg

«Einfach frei sein», benannte Loreen nach dem ESC-Sieg ihr Motto. Für kritische Köpfe dürfte das in Aserbaidschan schwierig bleiben. «Momentan laufen fast 80 Gerichtsverfahren, mit denen wir mundtot gemacht werden sollen», sagt Rasul Jafarow, Mitinitiator von «Sing For Democracy». Jafarow erwartet auch Druck auf sein familiäres Umfeld. «Der ESC hat uns kurzzeitig ein bisschen geschützt.»

Bei Ali Kerimli stand die Polizei schon am Samstag vor der Tür und brachte den Vorsitzenden der Oppositionspartei «Volksfront» zum Staatsanwalt. Kerimli habe Proteste angezettelt, lautet der Vorwurf. «Ich durfte nicht mal meinen Anwalt anrufen», berichtete Kerimli anschließend. Man müsse trotzdem weiter demonstrieren, «es geht um unser Land». Wie auch Jafarow hofft er, dass der Westen die ehemalige Sowjetrepublik nach dem ESC nicht einfach wieder vergisst.