Die Botschaften der EU-Staaten müssen künftig womöglich bedrohten Flüchtlingen weltweit humanitäre Visa ausstellen, damit sie in der EU Asyl beantragen können. Dafür plädierte der einflussreiche Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Paolo Mengozzi, am Dienstag in Luxemburg.
Mengozzi zufolge sind EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, Visa für die Beantragung von Asyl zu erteilen, wenn den Betroffenen ansonsten «Folter» oder eine andere unmenschliche Behandlung drohen. Im Ausgangsfall hatte eine syrische Familie christlichen Glaubens mit drei Kindern aus Aleppo in der belgischen Botschaft im Libanon Visa mit beschränkter Gültigkeit nach dem sogenannten EU-Visakodex beantragt, um dann in Belgien einen Asylantrag stellen zu können.
Nicht bindend
Mengozzi verwies in den Schlussanträgen deutlich darauf, dass von Folter und Verfolgung betroffenen Menschen wie der syrischen christlichen Familie im vorliegenden Fall keine Flucht über das Mittelmeer zugemutet werden könne. Dies sei «lebensgefährlich». Ein Visum für einen Asylantrag zu erteilen, sei dann «der letzte Weg» für die Betroffenen, um an ihr Grundrecht zu kommen. Überdies könne «nicht geleugnet werden», dass der Familie in der EU Schutz gewährt worden wäre, wenn sie die Hindernisse einer illegalen Reise überwunden hätte, heißt es in den Schlussanträgen.
Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind nicht bindend. Sollte der EuGH sie übernehmen, was zumeist der Fall ist, hätte das womöglich weitreichende Konsequenzen für die Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU.
Anträge abgelehnt
Der Familienvater hatte in der belgischen Botschaft angegeben, er sei in Syrien von einer bewaffneten Gruppe entführt und gefoltert worden, bis er gegen Lösegeld freigekommen sei. Die Familie aus Aleppo befürchtete zudem Verfolgung wegen ihres christlich-orthodoxen Glaubens. Die belgischen Behörden lehnten dann aber im vergangenen Oktober die Visaanträge ab. Zur Begründung hieß es, die EU-Mitgliedstaaten seien nicht verpflichtet, alle Personen aufzunehmen, «die eine katastrophale Situation erlebten».
Auf die Klage der Familie legte ein belgisches Gericht dann den Fall dem EuGH vor und bat um Auslegung des Visakodex sowie des Artikels zum Asylrecht und Folterverbot der Europäischen Grundrechtecharta. Mengozzi zufolge sind EU-Staaten in solchen Fällen eindeutig verpflichtet, die in der Charta garantierten Grundrechte zu wahren und ein humanitäres Visum auszustellen. Dies gelte unabhängig davon, ob zwischen den Antragstellern und dem ersuchten Mitgliedstaat Verbindungen bestehen.
Keine Fluchtalternative
Für den Generalanwalt steht fest, dass die Familie in Syrien zumindest «der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen Behandlung von extremer Schwere ausgesetzt» war, die eindeutig unter das Verbot der Grundrechtecharta fällt. Vor allem wegen der «Informationen, die über die Lage in Syrien verfügbar sind», durfte der belgische Staat nicht davon ausgehen, er müsse seinen Verpflichtungen aus der Charta zum Schutz von Menschen vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nicht nachkommen. Dies gelte vor allem, weil die Familie keine Fluchtalternative habe.
Bei einem Aufenthalt im Libanon drohe ihr die Abschiebung nach Syrien. An Schleuser, die von der EU bekämpft würden, könne sie auch nicht verwiesen werden.
Zu Demaart
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