Von wegen jung und oberflächlich: Zukunftsangst, Wut und Ratlosigkeit – die britischen Schüler einer zwölften Klasse aus dem Lyzeum Michel Lucius sprechen ehrlich und bedacht über die Zeit nach dem Brexit.
Den Anfang macht Jenna Lowe (20): «Wir sprechen viel zuhause über die direkte Auswirkung des Brexits auf unser Leben. Meine Mutter ist Britin, mein Vater Luxemburger. Meine Mutter lebt seit 27 Jahren hier, mein Bruder ist in Großbritannien und beobachtet die Dinge von dort aus. Angst habe ich eigentlich keine, da ich die doppelte Nationalität habe. Dennoch sprechen wir darüber, ob die Menschen, die hier leben, in einigen Jahren zurück nach Großbritannien ausgewiesen werden und sich möglicherweise darauf vorbereiten müssen.»
Kein Weg zurück
Holly Lowe (19), Schwester von Jenna spricht Klartext: «Ich bin sauer. Ich habe viele Freunde in England, die zur Uni gehen oder arbeiten und die immer wieder hierher kommen. Brauchen sie jetzt Visa? Eigentlich ist der Brexit beschlossene Sache, obwohl sie noch keinen Antrag eingereicht haben.»
Für Jenna ist die Sache klar, dass es für die Briten keinen Weg zurück gibt. «Sie haben abgestimmt zu gehen und sind damit raus. Die EU will sie danach nicht mehr haben. Sie werden Visa brauchen, um rüber zu kommen.» Im Zusammenhang mit der Abstimmung sieht sie den Schwarzen Peter bei den älteren Wähler. Sie haben egoistisch gehandelt, glaubt sie. «Sie haben sich eigentlich nicht informiert, was sie tun und haben eigentlich über die Zukunft der jungen Menschen abgestimmt. »
Jenna stockt kurz die Sprache, als sie über die Zukunft der Familie spricht. «Meine Geschwister, mein Vater und ich sind Luxemburger – meine Mutter nicht. Sie hat Luxemburgischkurse besucht, aber hat noch keinen Examen für die luxemburgische Nationalität gemacht, so dass sie möglicherweise in zwei Jahren aus Luxemburg gehen muss. Alle Briten, die nicht die Luxemburger Nationalität besitzen, müssen gehen. Genau so wie die Anderen, Großbritannien verlassen und in ihre Heimat zurückgehen müssen.»
Gegen «Calais-Dschungel»
Oliver Reddy, unser nächster Gesprächspartner, hat einen britischen Pass und fasst den Grund für die Überhand der Brexit-Befürwörter so zusammen: «Vielleicht werde ich wegen meiner Nationalität irgendwann aus Europa hinausgeworfen. Ich finde Brexit eine echt schreckliche Entscheidung. Junge und Ältere haben abgestimmt und die Älteren haben nach einem ‹Sündenbock› gesucht: dafür, dass sie keine Arbeit haben, dass sie unglücklich sind. Sie wollten kein Geld mehr für die EU ausgeben und den ‹Calais-Dschungel› stoppen, der in Richtung Großbritannien unterwegs ist.»
Nadia Luppo ist 22, ihr Vater ist Franzose, die Mutter – Schottin. Das Thema Brexit werde in der Familie eher mit Humor aufgenommen, genauso wie die Auftritte des ehemaligen Bürgermeisters von London Boris Johnson. Dennoch wirkt die Schülerin ernst und sehr erwachsen als sie sagt: «Aber natürlich frage ich mich, was passiert mit uns, werden wir jetzt ausgewiesen? Auch wenn sie nein sagen, man weiß es nie. Das kann sich von einem Tag auf den anderen ändern.» Die Briten, die hier – in Europa leben – nehmen die Entscheidung ganz anders auf. Sie wissen nicht, ob sie Visa beantragen müssen, um hier weiterhin arbeiten zu können.»
«Einen sicheren Ort»
Laura Drake (19): „Ich bin etwas verängstigt, denn offenbar Brite zu sein und gleichzeitig in einem EU-Land leben bedeutet, dass wir nicht wissen, was passieren wird. Ich finde solche Entwicklungen wie der Brexit bedenklich, weil die Menschen danach meinen, gegen Immigranten so vorzugehen, völlig normal ist. » Ohne Umwege gibt Laura zu, dass sie und ihre Familie «full british», die doppelte Nationalität anstreben. «Wir haben einen sicheren Ort in Europa und gleichzeitig Angst, dass wir zurück nach England müssen.»
Laura blickt auch voller Sorge in Richtung USA. «Es ist erschreckend das zu sehen, denn die USA ein sehr mächtiges Land sind. Wenn Dinge wie diese – gegen Immigranten vorzugehen – in Großbritannien passieren, was passiert im Rest der Welt, wenn die USA auch diesen Weg gehen würden?», fragt sie rhetorisch.
Thomas Keenan ist neunzehn Jahre alt und hat Verständnis für die Brexit-Stimmen. Dennoch hätte man mit dem Referendum noch etwas warten können, «jetzt ist alles in Luft aufgegangen».
Was Thomas Keenan und seine Mitschüler uns noch über ihre Brexit-Sorgen erzählt haben, lesen Sie in der Mittwoch-Ausgabe (29. 06. 2016) des Tageblatt Print.
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