Montag15. Dezember 2025

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«Brexit-Gewinner Luxemburg»

«Brexit-Gewinner Luxemburg»
(AFP/Daniel Leal-Olivas)

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Der Brexit wird schlecht sein. Für Europa und für Großbritannien. Nur ein kleines Land wie Luxemburg mit seiner starken Gewichtung auf den Finanzplatz kann davon profitieren.

Das sagt Dr. John Fitzgerald vom Dubliner Trinity College. Fitzgerald zeigt auf, wie eng die Wirtschaft Großbritanniens mit Rest-Europa verwoben ist – und erklärt, wieso das auch den Großen wie Deutschland schaden wird. Doch der Brexit kann ja noch abgewendet werden, oder?

Logo" class="infobox_img" />John D. Fitzgerald

Zur Person

John D. Fitzgerald,geboren 1949 in Dublin, leitet das Makroökonomische Institut im Dubliner Economic and Social Research Institute (ESRI).

Der studierte Historiker und Ökonom hat wesentliche Beiträge zur Wirtschaftspolitik Irlands geleistet – vom Festlegen der Investitionsprioritäten über EU-Strukturförderungen bis hin zu Energiepolitik und Währungsfragen.

Auszüge aus unserem Interview, das Tageblatt-Journalist Armand Back in Dublin führte und das Sie in seiner integralen Version im Tageblatt vom 3. November (Print und Epaper) nachlesen können.

Zwei Monate vor dem Brexit-Referendum meinten Sie, 55 Prozent würden für den EU-Austritt stimmen. Damit lagen Sie nah am tatsächlichen Wahlausgang. Hat es Sie dennoch überrascht?

John Fitzgerald: «Ich war nicht überrascht, aber sehr enttäuscht. Der Brexit ist sehr schlecht für Europa, für Irland, für Großbritannien. Aber wenn man sich die Kampagnen vor der Wahl ansah, war klar, dass das Remain-Lager nicht gewinnen konnte. Die Briten taten, was ihnen die Regierung sagte. Man hätte in Großbritannien eine starke Zivilgesellschaft gebraucht – aber die gab es nicht.»

(…)

Könnte Großbritannien, falls es mit dem Deal nicht einverstanden ist, ohne Weiteres in der EU bleiben?

«Das ist rechtlich unklar. Das Parlament müsste dem Volk klarmachen: Der Deal ist miserabel, also müsst ihr noch einmal abstimmen. Doch selbst wenn die Gerichte entscheiden, dass ein zweites Brexit-Referendum möglich ist, müsste das Parlament zuerst über den Deal abstimmen. Es könnte also Folgendes passieren: Die britische Regierung löst wie geplant Artikel 50 des Lissabon-Vertrags über einen Austritt aus und verhandelt einen Deal mit Brüssel. Am Ende, nachdem es eine Einigung gibt, kommt die Angelegenheit wieder ins britische Parlament. Wer weiß, was dann passiert und ob die restlichen 27 Mitgliedstaaten den Brexit rückgängig machen würden. Das wäre allerdings das Beste für alle Beteiligten.»

(…)

Bringt der Brexit nur Verlierer hervor oder könnten einige EU-Länder davon profitieren?

«Die allermeisten werden verlieren. Sehen Sie sich Deutschland an. Selbst wenn Teile des Finanzsektors aus London nach Frankfurt ziehen, dann ist das, verglichen mit der deutschen Wirtschaft, immer noch ein sehr kleiner Beitrag. Gleichzeitig leidet die deutsche Autoindustrie, die viel wichtiger ist. Eine Ausnahme ist Luxemburg. Dort ist der Finanzsektor so dominant, dass das Land tatsächlich profitieren könnte. Allerdings würden auch hier die Wohnungspreise steigen, worunter die Menschen leiden würden. Zudem ist fraglich, ob das kleine Land 10.000 neu Hinzugezogene unterbringen kann. Viele, die in Luxemburg arbeiten, leben ja schon heute außerhalb.»

Wird die Arbeitslosenquote in Großbritannien stark ansteigen?

«Ich denke schon, vor allem, wenn die Produktion für die Autoindustrie verloren geht. Auch für Menschen mit ausländischem Akzent könnte es sehr schwierig werden. Die Art von Rassismus, die Arbeitern aus dem Ausland derzeit entgegenschlägt, war bis vor Kurzem undenkbar. Die Menschen haben sich das vielleicht gedacht, blieben aber freundlich. Das scheint mir wie Donald Trumps Amerika: Man darf wieder Dinge sagen, die früher nicht möglich waren. Die Menschen sehen Probleme, wo keine sind – und wenn es nur ein französischer Akzent ist.»

Besteht die Hoffnung, dass die Populisten in Europa an Rückhalt verlieren, wenn die Menschen sehen, dass es Großbritannien mit dem Brexit schlecht geht?

«Die Erfahrung lehrt uns etwas anderes. Europa braucht keine Angstmache, sondern eine positive Vision. Europa bedeutet für mich Freiheit, es hat alles verändert. Für meine Frau brachte die Mitgliedschaft Frauenrechte. Als wir 1972 heirateten, wurde ihr aufgrund der Hochzeit am Tag danach gekündigt. Der EU-Beitritt Irlands 1973 ließ so etwas nicht mehr zu. Die jungen Menschen wissen das heute nicht mehr. Die EU müsste sich neu erfinden und positive Visionen erzeugen. Es hilft nicht, auf Großbritannien zu zeigen und zu sagen: Seht euch die an, das ist ja schrecklich. Angst hilft nicht, positive Visionen dagegen schon.»

Bedeutet ein EU-Austritt Großbritanniens eine Machtverschiebung innerhalb der EU?

«Für Frankreich wäre es immer schön gewesen, wenn es neben Deutschland noch andere Partner gegeben hätte. Aber Großbritannien war in den vergangenen 20 Jahren kaum anwesend und hat wenig zur Entscheidungsfindung in der EU beigetragen. Deswegen sehe ich hier keinen großen politischen Wandel. Für die kleinen Länder waren die frühen 1980er ideal, als allein die EU-Kommission Initiativen ergreifen konnte. Die Franzosen wollten immer eine zwischenstaatliche Union, sodass sie etwa alleine mit den Deutschen entscheiden können. Das ist nicht demokratisch und für kleine Länder äußerst unattraktiv. Heute ist die französisch-deutsche Allianz zusammengebrochen, Europa wirkt verloren. Die Kommission ist schwächer als je zuvor. Es wäre schlauer, die Kommission zu stärken.»