Von der kleinen Pension mit Meerblick, in der Diana Wrighton 30 Jahre lang ihre Gäste mit englischem Tee verwöhnt hat, sind ihr nicht einmal mehr die Schlüssel geblieben. Das «Cliff House» in Happisburgh, an der englischen Ostküste zur Nordsee gelegen, steht leer. Diebe haben sogar schon die Wasserleitungen aus Kupfer geplündert. Im Mai dieses Jahres hatte die alte Dame vor den Folgen des Klimawandels kapituliert, zog in ein Bauernhaus rund 20 Meilen landeinwärts. «Das Meer ist zu nahe gekommen», sagt die ältere Dame achselzuckend.
26 Häuser sind in Happisburgh schon von den Wellen der Nordsee verschluckt worden, zehn weitere stehen kurz vor dem Abriss. Diana Wrighton und ihre Nachbarn gehören zu den ersten echten Opfern des Klimawandels in Europa. Über die Jahre hat sich die Nordsee immer mehr vom Land genommen. Der Jahrtausende alte Prozess der Erosion, sagen Wissenschaftler, wurde durch den steigenden Meeresspiegel, höheren Wellendruck und häufigere Stürme deutlich verschärft – und vor allem beschleunigt.
Ein Leben an der Kante
Diana Wrighton und ihre Freundin Jille Morris gehörten zu den letzten Einwohnern der 800-Seelen-Gemeinde, die es noch an der Cliffkante in Happisburgh ausgehalten hatten. Zehn Häuser stehen dort, am Fuße eines traditionellen Leuchtturmes. Die Gemeinde muss sie nach Lage der Dinge noch in diesem Winter abreißen. Sie drohen einzustürzen, weil ihnen das Meer den Boden unter den Füßen wegfrisst.
Wenn Diana Wrighton an die Kante der Klippen tritt, kann sie vor ihrem geistigen Auge noch die Straße sehen, die einst unten vorbeiführte. «Dort draußen war eine Reihe Bungalows», sagt sie und deutet aufs offene Meer. Das ist erst ein paar Jahre her. Jedes Jahr frisst sich die Nordsee an dieser Stelle zwei Meter weiter ins Land, vor allem im Winter. Die Bodenstruktur aus Ton und Sand macht es ihr leicht. Früher musste Diana Wrighton etwa 25 Meter gehen, bis sie an der Kante stand. Heute sind es nicht einmal mehr 10.
Ostküste leidet
«Die Ostküste Großbritanniens leidet seit vielen Jahrhunderten unter Erosion, weil die tektonische Platte, die die britischen Inseln trägt, nach Osten hin abfällt und nach Westen hin ansteigt», sagt der britische Klimaforscher und Regierungsberater in Sachen Klimawandel, Sir David King. «Aber jetzt, wegen des steigenden Meeresspiegels, leidet die Ostküste umso mehr. Denn entlang des kontinentalen Festlandsockels haben wir ebenfalls steigende Wasserspiegel», erklärt der Wissenschaftler von der Universität Oxford. Die wärmeren Temperaturen führten zu einer Ausdehnung der Wassermasse und damit zu einem Anstieg des Pegels.
Verschärft hat die Situation der Anwohner in Happisburgh eine folgenschwere Entscheidung der britischen Regierung vor vielen Jahren. «Als die Wellenbrecher durchgerostet waren, hat man sie einfach nicht mehr ersetzt», sagt Malcolm Kerby, Vorsitzender der örtlichen Initiative Coastal Concern Action Group. Auch Diana Wright erinnert sich: «Solange wir die Wellenbrecher hatten, gab es keine Probleme.» Kerby wählt noch drastischere Worte in Richtung Westminster: «Sie haben uns aufgegeben, aber sie haben immer noch keine Strategie, wie es weitergehen soll.» Und diese werde nicht nur für Happisburgh gebraucht, sondern für die gesamte englische Ostküste.
«Geordneter Rückzug» geraten
Zumindest die Entscheidung, die küstennahe Besiedelung aufzugeben, hält Klimaforscher David King für durchaus geboten. «An vielen Stellen ist ein geordneter Rückzug das Mittel der Wahl», sagte er auf dpa-Anfrage. Für den 70 Jahren alten Malcolm Kerby, der seit Jahrzehnten das Meer und seine Bewegungen beobachtet, ist der Rückzug aber keineswegs geordnet. Von den 26 Hauseigentümern, die ihre Heimat verloren haben, habe kein einziger auch nur einen Pence Entschädigung erhalten. Immerhin habe man für die noch stehenden Häuser einen Weg gefunden, dass die Regierung zumindest 40 bis 50 Prozent des einstigen Wertes zahlt.
Auch Diana Wrighton hat einen Betrag bekommen, den sie als «besser als nichts» bezeichnet. Wenn sie aus dem Fenster ihres alten Cliff-Houses schaut und auf die graue Nordsee blickt, wird der alten Frau warm ums Herz. Mehr als das Geld von der Regierung fehlt ihr das Meer und der Blick auf den Leuchtturm, den sie 30 Jahre lang mit den Gästen ihrer 13-Betten-Pension geteilt hatte. Tun kann sie nun nichts mehr. Ein paar Leute vom Umweltamt schauen noch nach, ob sich vielleicht seltene Fledermäuse im Cliff House eingenistet haben. Wenn nicht, kommt der Abrissbagger. «Die Natur ist stärker als der Mensch», sagt Diana Wrighton.
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