Schlapphut, schwarzer Umhang, Hellebarde und Laterne – in immer mehr Städten Europas begegnet man wieder Nachtwächtern. Manche seien allerdings „nur Gauklertypen, die mit Touristen einen schnellen Euro machen wollen“, sagt Johannes Thier. Er ist Oberhaupt der Europäischen Zunft der Nachtwächter und Türmer (EUNTZ). Am Freitag hält sie in Lausanne ihre diesjährige Zunftsitzung ab. Worum es den mehr als 160 Mitgliedern in 10 Ländern und 64 Städten geht, erklärt der offizielle Nachtwächter von Bad Bentheim im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa:
Was zeichnet heute einen guten Nachtwächter aus – abgesehen davon, dass er nicht so leicht einnickt?
Thier: „Die Nachtwächter wie auch Türmer in unserer Zunft sind natürlich ausgeschlafene Typen, vor allem aber sind sie seriös. Sie sind in ihren Heimatstädten verwurzelt und anerkannt. Natürlich müssen sie die Stadtgeschichte bestens kennen, aber auch unterhaltsam darüber erzählen können. Dafür sind sie weithin bekannt und geachtet. Ich zum Beispiel habe als offizieller Nachtwächter von Bad Bentheim einen ähnlichen Bekanntheitsgrad wie unser Bürgermeister.“
Die Wächter im Mittelalter sollten bei Bränden Alarm schlagen und Verbrecher verjagen. Heute scheinen sie eher eine Touristenattraktion zu sein oder haben sie auch noch die Schutzfunktion wie einst?
Thier: „Nein, das überlassen wir der Polizei. Die hat diese Aufgabe ja einst von den Nachtwächtern übernommen. Im Mittealter waren die noch beides, Feuerwehrmann und Polizist. Das sind quasi die Nachfolger der klassischen Nachtwächter. Die heutigen sind natürlich mit ihren mittelalterlichen Kostümen, den Laternen und Hellebarden auch eine Touristenattraktion.“
Ihre Zunftmitglieder wollen aber mehr als das sein…
Thier: „Wir legen Wert darauf, dass Nachtwächter nicht eine Art Folklore-Beigabe zur historischen Altstadt sind, sondern vom Stadtrat anerkannt und berufen werden. Manche Leute verkleiden sich und halten die Hand auf. Für Gauklertypen, die mit Touristen einen schnellen Euro machen wollen, haben wir nichts übrig. Unsere Zunftmitglieder sind ehrenamtliche Stadthistoriker, die den Menschen vergangene Zeiten aus der Perspektive der Ärmsten vor Augen führen. Denn das waren die Nachtwächter und Türmer. Sie kamen aus den ärmsten Familien und wurden verdonnert, den ungeliebten Nachtjob zu machen.“
Warum wird zwischen Nachtwächtern und Türmern unterschieden?
Thier: „Der Nachtwächter ruft mit «Hört, ihr Leute und lasst euch sagen…» die Zeit aus, der Türmer macht das ähnlich. Aber er bleibt in seinem Kämmerlein und geht nicht mit den Leuten durch die Gassen. Früher waren Nachtwächter bei der Gemeinde und Türmer meist bei der Kirche angestellt. Oft wohnten sie mit der ganzen Familie oben in den engen Turmkammern, oft mit fünf bis acht Kindern. Türmer mussten immer ein Instrument beherrschen. Damit durften sie bei Hochzeiten oder Beerdigungen spielen. Nachtwächter verdienten sich oft etwas als Totengräber dazu.“
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