Samstag13. Dezember 2025

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Tschechischer Humor im EU-Ratsgebäude

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„Ich akzeptiere die Verantwortung.“ Der tschechische Europaminister Alexandr Vondra gab gestern in Brüssel grünes Licht für das umstrittene Kunstwerk seines Landsmanns David Cerny, obwohl dieser sich einen beispiellosen Ulk mit der EU und seiner eigenen Regierung erlaubt hat./ Von unserer Korrespondentin Marisandra Ozolins, Brüssel

Die monumentale Skulptur namens „Entropa“, die ein Puzzle der Landkarten der 27 EU-Länder darstellt, thront seit letztem Montag im Atrium des Ministerratsgebäudes der Union in Brüssel, als Symbolfigur der tschechischen Ratspräsidentschaft.
„Entropa“ hat jedoch in zweierlei Hinsicht für Aufruhr gesorgt. Einerseits das Werk selbst. Jeder Mitgliedstaat wird klischeehaft präsentiert. Das geht von einer harmlosen Pralinenschachtel für Belgien über ein Fußballfeld für Italien oder eine Dracula-Figur für Rumänien bis zu bissigeren Stereotypen wie ein Spruchband „im Streik“ über der Karte Frankreichs, eine in ein goldfarbenes Luxemburg gesteckte Tafel mit der Aufschrift „Zu verkaufen“, oder Autobahnabschnitten in Form eines stilisierten Hakenkreuzes für Deutschland und einem Stehklo „à la turque“ für Bulgarien – was prompt einen offiziellen Protest Sofias auslöste.

Entschuldigungen

Andererseits hat sich „Entropa“ als riesiger Schwindel entpuppt. Ursprünglich bei David Cerny als kollektives Werk von Künstlern aus den 27 Mitgliedstaaten bestellt, die jeweils ihr Land aus ihrer Sicht darstellen sollten, ist „Entropa“ die alleinige Schöpfung des 41-jährigen Prager Bildhauers, der mit Hilfe eines kleinen Teams von Freunden alles entworfen und erfunden hat, bis zu den Namen der angeblichen Künstler samt ihrer fiktiven Lebensläufe.
„Wir wollten wissen, ob Europa in der Lage sei, über sich selbst zu lachen“, erklärte Cerny, als der Schwindel am Mittwoch aufflog. Gleichzeitig entschuldigte sich der Künstler bei der tschechischen Regierung für den Streich und versprach, das ihm zur Verfügung gestellte Geld zur Entlohnung der übrigen „Künstler“ zurückzuerstatten.
Die Entschuldigung wiederholte Cerny gestern bei der offiziellen Einweihung von „Entropa“, vor einem mit Presseleuten und Besuchern prall gefüllten Atrium des EU-Ministerrats, wo sein Erscheinen mit Applaus, aber auch Buhrufen bedacht wurde. „Wir hatten keineswegs die Absicht, einzelne Länder zu beleidigen“, bedauerte der Künstler insbesondere an die Adresse Bulgariens. Das Ganze sei nur ein „joke“, ein Scherz gewesen und sollte auch so aufgefasst werden.
Zuvor hatte sich auch der tschechische Europaminister Alexandr Vondra, obwohl zunächst „schockiert“ über den Schwindel, bei der bulgarischen Regierung und allen anderen, „die sich verletzt gefühlt“ hätten, entschuldigt. Falls Sofia auf die Entfernung des bulgarischen Moduls bestehe, werde dies geschehen, fügte er hinzu.
Gleichzeitig übernahm Vondra jedoch die „Verantwortung“ für die umstrittene Skulptur, die entgegen zunächst anders lautenden
Verlautbarungen nicht abgebaut und bis zum Abschluss des Prager Ratsvorsitzes Ende Juni an Ort und Stelle bleiben soll.

„Kein Platz für Zensur“

Kunst bedeute Freiheit, und Ausdrucksfreiheit liege der Demokratie zugrunde, sagte der Minister, dem zufolge die tschechische Ratspräsidentschaft eine „kreative“ Dekoration gewollt habe, auch passend zum Europäischen Jahr 2009 der Kreativität und Innovation. Zum provokativen Aspekt des Werks meinte er, Vorurteile könnten am besten abgebaut werden, wenn man sich ihrer bewusst werde.
Zudem sei „Entropa“ eine Illustration des Slogans der Ratspräsidentschaft „Ein Europa ohne Barrieren“, mit dem Prag auch beweisen wolle, „dass 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa kein Platz mehr für Zensur“ sei. „Wir betrachten ‚Entropa‘ als Kunstwerk, nicht mehr und nicht weniger“, unterstrich Vondra.
David Cerny jedenfalls, der in Osteuropa für seine Provokationen bekannt ist, hat sich jetzt auch einen Namen im Westen gemacht. Ob von den einen zerrissen, oder von den anderen bewundert, ist sein Werk „Entropa“ quasi über Nacht berühmt geworden.