Auf Whatsapp bietet jemand Mehl an, auf Facebook sucht ein anderer Milch, auf Instagram will ein Dritter Windeln gegen Nudeln eintauschen. In Venezuela fehlt es derzeit an allem – und verzweifelt versuchen die Menschen, über einen regen Tauschhandel im Internet trotzdem an das Allernötigste zu kommen. «Das Einzige, worüber die Leute reden, ist wie man Lebensmittel, Hygieneprodukte oder Medikamente auftreiben kann», berichtet Plalla Alvarez.
Die 34-jährige Hilfspädagogin ist nach eigenen Angaben mit etwa 400 Menschen über den Online-Botschaftendienst Whatsapp und mit weiteren 600 über das soziale Netzwerk Facebook im Kontakt. Sie wohnt in Guatire rund 45 Kilometer von der Hauptstadt Caracas entfernt, aber der «Taschhandel läuft landesweit», sagt sie. «Wir haben schon vergessen, wie das war, als man sich über andere Gesprächsthemen austauschte.» Obwohl Venezuela über die größten Ölreserven der Welt verfügt, sind die Regale in den Supermärkten so gut wie leer: Weil der Öl-Preis weltweit abgestürzt ist und das südamerikanische Land fast alle Konsumgüter importieren muss, ist der Kauf von Öl, Zucker oder Mehl für die Menschen dort inzwischen ein Alptraum.
Mangel
Um trotz des gravierenden Mangels an die benötigten Waren zu kommen, haben sich in den sozialen Netzwerken tausende Tausch-Gemeinschaften gebildet. «Ich habe Windeln, tausche sie gegen ein Kilo Nudeln», lautet eine der Botschaften. «Ich brauche Milch, egal zu welchem Preis, mein Baby hat keine mehr», heißt es in einer anderen. Oder: «Ich tausche Shampoo gegen Mehl.» Und: «Ich habe Mehl, ich tausche es gegen Damenbinden.» Der Informatiker Jophelin Primera erläutert, dass die Tausch-Gruppen im Internet bestimmten Regeln folgen – sie sind thematisch geordnet, etwa nach Baby-Bedarf oder geografischen Regionen. Zu bestimmten Zeiten wird diskutiert, oder es wird der Weiterverkauf zu überhöhten, spekulativen Preisen verboten, berichtet der 30-Jährige.
Ein Administrator überwacht das. «Es soll kein Geld verdient werden, sondern die Leute sollen sich versorgen können.» Als Alternative zum Tauschhandel bleibt nur das stundenlange Schlangestehen vor Supermärkten – ohne Garantie, das zu finden, was benötigt wird. «Ich habe keine Kinder», sagt Jophelin. «Aber wenn ich Schlange stehe und es gibt Windeln zu kaufen, dann kaufe ich sie und tausche sie gegen Zucker oder Schinken.» Die Mitte-Rechts-Opposition des Landes macht den linksgerichteten Präsidenten Nicolás Maduro für die verheerende Situation verantwortlich. Derzeit wird ein Referendum zur Amtsenthebung Maduros angestrebt.
Kritik an Regierung
Inzwischen wollen Umfragen zufolge sieben von zehn Venezolanern, dass der Staatschef abtritt. Die Regierung wiederum wirft den Unternehmern des Landes vor, zusammen mit der Opposition einen «Wirtschaftskrieg» zu führen, indem absichtlich Waren verknappt würden, um das Land zu destabilisieren. Der Tauschhandel über das Internet funktioniert so, dass die wertvollen Waren in aller Öffentlichkeit übergeben werden – vor Einkaufszentren oder U-Bahnhöfen etwa. In einem Land mit hoher Kriminalitätsrate, in dem auch Plünderungen und Lynch-Taten in den vergangenen Monaten häufiger vorkamen, soll so ein Mindestmaß an Sicherheit garantiert werden. Für Plalla Alvarez hat die Not aber auch ihr Gutes: Der Tauschhandel aktiviere «Mechanismen der Solidarität» in dem Land, sagt sie. Der politische Machtkampf interessiert dabei nicht: «Hier sind wir alle Venezolaner.»
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