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Lockerbie will nicht vergehen

Lockerbie will nicht vergehen

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Der Wirbel war groß, als der verurteilte Lockerbie-Attentäter Abdel Basset al Megrahi begnadigt wurde. Weil der Krebskranke voraussichtlich nur noch drei Monate zu leben hatte, entließen ihn die schottischen Justizbehörden nach Hause nach Libyen.

Jetzt, nach einem Jahr, wird wieder Empörung laut: Der Mann lebt immer noch. Hinterbliebene der Opfer des Flugzeuganschlags 1988, die ihn an der Schwelle des Todes wähnten, fühlen sich betrogen. US-Politiker argwöhnen, dass der Ölmulti BP im eigenen Geschäftsinteresse auf die Begnadigung des Libyers gedrungen hat.
Lockerbie ist offenbar eine Wunde, die nicht heilen will. Zum Jahrestag am Freitag fällt der Schatten der Tragödie wieder auf Libyen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo es mit dem jahrelang als Terrorpate verschrienen und mit Sanktionen belegten Land nur noch aufwärts zu gehen scheint. Die Umstände von Al Megrahis Freilassung hätten «die Vorstellung wieder bestärkt, dass Libyen immer noch irgendwie problematisch ist», sagt der Landeskenner John Hamilton. «Jeder wird wieder daran erinnert – falls er es vergessen haben sollte.»

900-Millionen-Dollar-Ölgeschäft

Während Amerikaner und Schotten einander Vorwürfe machen und BP sich zu verteidigen versucht, ist Libyen dabei, sich wieder in die Staatengemeinschaft einzufügen – beflügelt von der Zuversicht, dass ausländische Unternehmen ganz wild auf sein Öl sind und bereit, die verfallene Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen. Vielleicht etwas zu wild, wie BP erfahren musste. Der wegen der Ölpest im Golf von Mexiko ohnehin unter Beobachtung stehende Konzern ist Gegenstand von Ermittlungen des Auswärtigen Ausschusses des US-Senats. Der interessiert sich sehr dafür, ob ein 900 Millionen Dollar schwerer Vertrag mit BP über die Erschließung eines libyschen Ölvorkommens bei der vorzeitigen Freilassung des einzigen Verdächtigen eine Rolle spielte, der wegen des Lockerbie-Anschlags je verurteilt wurde. Bei dem Bombenattentat auf einen amerikanischen Jumbo-Jet über dem schottischen Ort Lockerbie waren im Dezember 1988 insgesamt 270 Menschen ums Leben gekommen, darunter viele US-Bürger. Al Megrahi, ein libyscher Agent, war dafür zu 27 Jahren Haft verurteilt und wegen seiner Krebskrankheit nach acht Jahren freigelassen worden. «Alles, was wir im Fall Lockerbie in den vergangenen 20 Jahren unternommen haben – das heißt von der Ermittlung über den Prozess bis zur Verurteilung und Inhaftierung von Herrn Megrahi und schließlich zu seiner Freilassung aus humanitären Gründen – entsprach schottischem Recht und Gesetz», betonte der schottische Regierungschef Alex Salmond.

«Je mehr Licht, umso hässlicher»

In den USA sind viele überzeugt, dass es vor allem ums Geschäft ging. «Wenn wir dem nachgingen, würde das BP und die libysche Regierung unter Druck setzen», vermutet Senator Charles Schumer. «Je mehr Licht in die Sache kommt, umso hässlicher wird sie.» Er ist zuversichtlich, dass hartnäckiges Nachbohren Aufklärung bringt. «Denn was sie getan haben, war so falsch, und es lässt sie so schlecht aussehen.»
Angehörige amerikanischer Lockerbie-Opfer machen den schottischen Behörden bittere Vorwürfe. «In Schottland gibt es Leute, die um Begnadigung bitten und sie nicht bekommen», sagte Susan Cohen, die ihre Tochter verloren hat. «Es gibt Leute, die sterben in schottischen Gefängnissen.» Vielleicht werde Al Megrahi auch sie selbst noch überleben, meinte die 72-Jährige. Der Krebsspezialist Karol Sikora, einer der damaligen Gutachter, die dem an Prostatakrebs erkrankten Al Megrahi voraussichtlich noch drei Monate gaben, wäre heute vorsichtiger mit einer Prognose. Er würde sich wohl unbestimmter äußern und mehr auf die Statistik Bezug nehmen, räumte er ein – was Angehörige noch mehr erzürnte.

Villa mit Krankenbett

Libyen hält sich bei dem heiklen Thema weitgehend zurück. Al Megrahis Heimkehr vor einem Jahr war als Abschluss eines unerfreulichen Kapitels als Schurkenstaat betrachtet worden. Nach dem Lockerbie-Anschlag hatte Staatschef Muammar el Gaddafi schließlich Al Megrahi und einen weiteren, später freigesprochenen Verdächtigen ausgeliefert und Milliardensummen an Entschädigung gezahlt. Der Heldenempfang für den Heimkehrer wurde dann schleunigst abgewürgt, als Amerikanern und Briten protestierten. Zum Unmut trugen auch die Berichte über Al Megrahis gehobenen Lebensstil bei. Er wohnt mit Frau und Kindern in einem Nobelviertel von Tripolis, in dem auch Minister und Botschafter residieren. Die zweistöckige Villa ziert ein gepflegter Garten mit Brunnen, in der Garage stehen ein Toyota Land Cruiser, ein Hummer und ein 7er BMW. Besucher berichten, Al Megrahi verbringe die Tage, von Medikamenten umgeben, in einem Pflegebett und gehe am Stock. Das Haus verlässt er fast nur zu Behandlungsterminen in der Klinik. Er spricht – wohl auf Anweisung von oben – nicht mit den Medien. Sein Anwalt in Schottland reagierte nicht auf Anfragen.

AP