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Leben wie im Hühnerkäfig

Leben wie im Hühnerkäfig
(AFP/Thomas Samson)

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"Mein Bett ist mein Wohnzimmer": Tausende Menschen müssen in Mini-Wohnungen in Paris leben, die nicht einmal neun Quadratmeter groß sind.

Genau 6,83 Quadratmeter klein ist das Zuhause von Ivan Lopez. Ein Bett unter der Dachschräge, eine Küchenzeile mit Herd und Kühlschrank, eine Duschkabine, eine Kommode und ein Paar Kisten zum Verstauen seiner Kleider – viel mehr Platz hat der 36-Jährige nicht in seiner Pariser Mini-Wohnung. «Mein Bett ist mein Wohnzimmer», sagt der aus Mexiko stammende Nachtportier mit resigniertem Lächeln. «Hier schaue ich Fernsehen, hier esse ich, und wenn ich Besuch habe, sitzen wir auf dem Bett.»

Lopez, der 370 Euro Monatsmiete zahlt, ist bei weitem kein Einzelfall in der französischen Hauptstadt: Rund 7.000 frühere Dienstmädchenzimmer mit einer Grundfläche unter neun Quadratmetern werden in Paris dauerhaft vermietet – obwohl das eigentlich gar nicht erlaubt ist. Einen Mietvertrag hat Lopez deshalb natürlich nicht. Trotz zweier Jobs findet der Nachtportier keine größere Wohnung am hart umkämpften Pariser Wohnungsmarkt mit seinen horrenden Mieten.

«Ich verdiene den Mindestlohn. Ich habe keinen Bürgen, keine Familie in Paris, einen ausländischen Akzent» – bei den meisten Immobilienagenturen fällt Lopez damit durch. Und lebt jetzt schon seit acht Jahren auf 6,83 Quadratmetern, die sich anfühlen wie ein Hühnerkäfig und in denen es im Sommer unerträglich heiß wird.

«Ein Ort für einen Zwischenstopp»

Victoire Ratrimoson geht es nur wenig besser: Die 67-Jährige aus Madagaskar lebt im eleganten 17. Pariser Bezirk auf 7,5 Quadratmetern, jeden Tag schleppt sie sich die sechs Stockwerke in ihre vollgestellte Wohnung hoch. «Ich lebe fast nicht hier», sagt sie bitter. «Das hier ist mehr ein Ort für einen Zwischenstopp.» Bei Käufern sind die Ein-Zimmer-Wohnungen höchst beliebt, sie wechseln in manchen Vierteln für einen Quadratmeterpreis von bis zu 11.000 Euro den Besitzer. Für die Menschen, die dort leben müssen, sind die engen Unterkünfte aber eine Zumutung.

Lopez und Ratrimoson hoffen darauf, dass die Behörden ihre Mini-Wohnungen als unbewohnbar einstufen – denn dann müssten ihre Vermieter oder der Staat ihnen eine neue Unterkunft anbieten. Doch die Behörden arbeiten langsam. «Es gibt in Paris 7.000 Dienstmädchenzimmer unter neun Quadratmetern, die als Erstwohnsitz vermietet werden», sagt Sarah Coupechoux von der auf Wohnungsnot spezialisierten Hilfsorganisation Fondation Abbé Pierre. «Bei den meisten dieser Zimmer erkennt der Staat nicht an, dass sie unbewohnbar sind.» Die in Paris zuständige Behörde versichert dagegen, jedes Jahr würden rund 60 Wohnungen per Verordnung für unbewohnbar erklärt, mit steigender Tendenz.

«Das ist unglaublich»

Die Behördenverantwortliche Emmanuelle Beaugrand verweist aber auf ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2013: Demnach dürfen Wohnungen nicht allein aufgrund ihrer Größe als unbewohnbar eingestuft werden. «Bei Zimmern zwischen sieben und neun Quadratmetern verhängen wir nicht mehr systematisch solche Verordnungen», sagt Beaugrand. Es müssten noch andere Faktoren hinzukommen – etwa, dass es kein Fenster gibt.

Die Stiftung Abbé Pierre fordert jetzt mehr Anstrengungen gegen die Wohnraumprobleme in Paris, kürzlich startete sie eine landesweite Kampagne. Der für Wohnraum zuständige Pariser Vize-Bürgermeister Ian Brossat hat für die «nahe Zukunft» einen Plan versprochen, um aus den früheren Dienstmädchenzimmern menschenwürdigen Wohnraum zu machen.

Albert Verdier hat Glück gehabt: Der 56-Jährige konnte sein sechseinhalb Quadratmeter großes Zimmer, in dem er 15 Jahre lang lebte, inzwischen gegen eine 19-Quadratmeter-Wohnung eintauschen. Der neu gewonnene Platz erschien ihm die erste Zeit geradezu paradiesisch: «Anfangs sagte ich mir immer wieder: Das ist unglaublich, ich träume wohl.»