«Wir sind das Volk» – dieser Ruf ertönte am Samstag noch einmal in der früheren Machtzentrale der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg. Der Stasi-Unterlagen-Beauftragte Roland Jahn übergab das sanierte Haus 1 mit dem original erhaltenen Büro von Ex-Stasi-Minister Erich Mielke der Öffentlichkeit – und aus der wartenden Menge ertönte der berühmte Ruf aus der Endzeit der DDR.
Nun wurde der graue, einst hermetisch abgeriegelte Betonkomplex des Ministeriums für Staatssicherheit zu einem Ort der Begegnung. Rund 6000 Menschen kamen zu dem Bürgertag unter dem Motto «Wissen wie es war» – darunter frühere DDR-Bürgerrechtler wie Ulrike Poppe , Günter Nooke , Rainer Eppelmann und Vera Lengsfeld . Sie begrüßten sich fast wie bei einem Klassentreffen.
Aktenöffnung vor 20 Jahren
Der Tag erinnerte daran, dass vor 20 Jahren – im Januar 1992 – die Akten geöffnet wurden und so erste Betroffene erfuhren, wer sie bespitzelt hat. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz trat im Dezember 1991 in Kraft und war Basis für die Akteneinsicht. Bis heute wurden rund 2,8 Millionen Anträge auf persönliche Einsicht in Stasi-Papiere gestellt. Noch ein symbolisches Datum verband sich mit dem Bürgertag: Am 15. Januar 1990 stürmten aufgebrachte DDR-Bürger die Stasi-Zentrale und retteten Unterlagen vor der Vernichtung.
Den ganzen Tag über stauten sich Interessierte vor dem polierten Mielke-Schreibtisch. Auch junge Menschen sahen sich auf dem mehr als 20 Hektar großen Gelände um, auf dem einst bis zu 7000 Stasi-Leute residierten. Die 19-jährige Anna sagte, sie finde es wichtig, etwas über die Geschichte zu erfahren. In der Schule seien sie noch nicht bis zur DDR gekommen, so die Gymnasiastin.
Die Erinnerung wach halten
Gerade junge Menschen könnten an dem authentischen Ort sinnlich erfahren, wie die SED-Diktatur funktionierte, sagte Jahn. Er will das Gelände zu einem Campus der Demokratie entwickeln. Von hier gingen die Befehle aus, mit denen die DDR-Bevölkerung von der Stasi als «Schild und Schwert» der herrschenden SED unter Kontrolle gehalten werden sollte. Die bröckelnde Substanz von Haus 1 war mit elf Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II saniert worden.
Als sich die früheren Stasi-Unterlagenbeauftragten Marianne Birthler und Joachim Gauck zusammen mit Jahn die Ausstellungen in Haus 1 ansahen, lächelten die drei früheren DDR-Oppositionellen gemeinsam in die Kameras. Doch ihre Meinungsunterschiede wurden dann bei einer Podiumsdiskussion mehr als deutlich.
Stasi-Angestellte versetzen?
Streitpunkt ist die geplante Versetzung von 45 früheren Stasi-Leuten aus der Unterlagen-Behörde. Nach der beschlossenen Gesetzesnovelle sollen die Beschäftigten, die früher bei der Stasi waren und von Gauck beim Aufbau der Behörde wegen ihrer Kenntnisse übernommen wurden, in andere Bundesbehörden versetzt werden.
Jahn ist mehr als 20 Jahre nach der Einheit für ein Klima von «Vergeben ohne zu vergessen». Er traf damit nicht nur auf Zustimmung. Das Wirken der Staatssicherheit aufzuarbeiten, sei nicht allein Angelegenheit des Ostens, so Jahn. «Das muss eine gesamtdeutsche Aufgabe sein.» Im Frühjahr will seine Behörde ein Gutachten an den Bundestag übergeben, in dem es um mögliche Stasi-Verstrickungen früherer Bundestage geht.
Als bei einer Fragestunde einer aus dem Publikum schimpfte, dass es Stasi-Leuten heute oft besser gehe als ihren Opfern, sagte Jahn, der auf Befehl der Stasi aus der DDR zwangsausgebürgert worden war: Auch die einstigen Täter dürften sich versammeln, Bücher schreiben und auf Gran Canaria Urlaub machen. «Ich wünsche mir nur, dass sie sich eingestehen, dass sie anderen demokratische Grundrechte vorenthalten haben.»
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können