Claudia Andratschke kommt sich manchmal vor wie eine Detektivin. Sie versucht, kleine, leicht zu verwechselnde Teile zu einem Puzzle zusammenzusetzen. Aus Etiketten und Nummern auf den Rückseiten von Kunstwerken und teils rätselhaften Einträgen in Inventarbüchern muss sie die richtigen Schlüsse ziehen. Die 37-Jährige ist Provenienzforscherin am Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. Ihre Aufgabe ist es, alle Zugänge der Landesgalerie nach 1933 auf Ungereimtheiten zu prüfen.
Ist die Herkunft eines Kunstwerks nicht lückenlos zu klären, stellt die promovierte Kunsthistorikerin es auf die Internet-Seite www.lostart.de. Die Datenbank «Lost Art» wird von der staatlichen Koordinierungsstelle Magdeburg betrieben, die Kulturgutverluste dokumentiert. Hier können sich die Erben der ehemaligen Eigentümer melden, so dass gestohlene oder unrechtmäßig entzogene Objekte zurückgegeben beziehungsweise Entschädigungen gezahlt werden. «Die Datenmenge steigt ständig», sagt der Leiter der Koordinierungsstelle, Michael Franz. «Zurzeit sind etwa 11 000 NS-Raubkunst-Objekte als Fundmeldung verzeichnet, vor knapp zehn Jahren waren es nur 747.»
«Entartete Kunst»?
Die öffentlichen Museen wandten sich nach 1933 von den Meisterwerken der Klassischen Moderne ab, die die Nationalsozialisten als «Entartete Kunst» diffamierten, und bevorzugten bei Ankäufen Gemälde des 18. und 19. Jahrhunderts, erläutert Forscherin Andratschke bei der ersten öffentlichen Führung in ihrem Haus zum Thema NS-Raubkunst. In einer Vitrine im Treppenaufgang des Museums sind Informationen zur fragwürdigen Herkunft mehrerer Bilder gesammelt.
Nach Andratschkes Recherchen wussten die damals beteiligten Kunsthändler und Museumsleute oft sehr wohl um das Schicksal der meist jüdischen Vorbesitzer. «Es mangelte ihnen an Unrechtsbewusstsein», berichtet sie.
Rückseiten werden analysiert
In der Restaurierungswerkstatt veranschaulicht die Forscherin anhand von fünf Bildern, wie sie die Rückseiten der Werke untersucht. Das Ölgemälde von Johann Ernst, «Junger Mann mit Spazierstock», ist eine Leihgabe aus der Sammlung der Bundesrepublik Deutschland und besitzt ein bekanntes Etikett. «Es ist für das geplante ‹Führermuseum› in Linz katalogisiert worden», sagt Andratschke. Adolf Hitler wollte nach dem erhofften «Endsieg» Werke großer Meister in einem Prachtbau im österreichischen Linz zeigen.
In zahlreichen westdeutschen Museen hängen noch Leihgaben der Bundesrepublik, die einst für das geplante «Führermuseum» erworben wurden. «Wir wollen die Museen anregen, ihre Besucher auf die besondere Geschichte dieser Werke hinzuweisen», sagt Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle Provenienzrecherche/-forschung in Berlin. Wie lange die Aufarbeitung der NS-Zeit noch dauern mag, kann Hartmann nicht sagen. «Vieles wird sich leider nicht mehr restlos aufklären lassen.» Gerade in Hinsicht auf den Raub in den Ostgebieten sei es kaum möglich herauszufinden, was jüdischen Gemeinden und Familien genommen und nach Deutschland gebracht wurde.
Budget: 1 Million Euro
Eine Million Euro stellt die Arbeitsstelle seit 2008 jährlich für Provenienzforschung aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung. Projekte in 70 Museen, Bibliotheken, Archiven und weiteren öffentlichen Einrichtungen wurden bisher gefördert. «Wir wünschen uns vor allem noch eine bessere Zusammenarbeit mit dem Kunsthandel, also mit Auktionshäusern und Galerien», sagt Hartmann.
Vorbehalte gibt es auch bei Museumsbesuchern. «Wir wollen die Sensibilität des Publikums wecken und Ängste nehmen, dass durch die Provenienzforschung Museen ihre hochkarätigen Bilder verlieren», sagt Andratschke.
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