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60 Millionen Passagiere mit Tempo 320

60 Millionen Passagiere mit Tempo 320
(Tageblatt-Archiv/Francis Wagner)

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Der TGV Est wird fünf Jahre alt. Er hat sich zu einem unerwarteten Erfolg entwickelt: 60 Millionen Passagiere hat er transportiert, seit er in Dienst gestellt wurde.

Die Zukunft des ersten europäischen Zuges, der seine Passagiere mit Tempo 300 bis 330 durch die Lande fährt, führt in Frankreichs Osten und nach Deutschland. So genannte Euro Duplex Züge fahren mit Doppelstockwagen und Tempo 320 seit März schon von Paris bis nach Baudrecourt, biegen dann auf ausgebaute Gleise nach Forbach und Saarbrücken ab, fahren durch das Saarland und die Pfalz nach Frankfurt. Nach einem kurzen Reinigungsstopp geht es dann von Frankfurt nach Marseille, danach von Marseille nach Paris und am nächsten Morgen wieder von Paris über Forbach und Saarbrücken nach Frankfurt.

Diese Trasse ist ein Großversuch für den TGV Est, der damit seine europäische Bedeutung zementiert. «Es handelt sich um völlig neu konzipierte Züge, die dann auch in jeder zweiten Reihe in der zweiten Reihe Steckdosen für Laptops haben», lächelt Christian Durr, Verkaufsdirektor der französischen Eisenbahnen SNCF für den TGV Est im Gespräch mit dem Tageblatt. Diese neuen Züge sollen spätestens zu Weihnachten auf der Schiene der Hochgeschwindigkeitslinie in den Osten Frankreichs eingesetzt werden. Dürr hofft allerdings, dass der Fabrikant Alstom schon im September und im Oktober in der Lage sein wird, die Züge auszuliefern.

Keine Genehmigung für Luxemburg

Neu sind Doppelstockzüge beim TGV nicht. Auf der Linie Paris – Lyon werden sie schon seit Jahren eingesetzt. Aber: die SNCF trägt mit den neu konzipierten Zügen der Tatsache Rechnung, dass der TGV Est nun zu einem TGV Est/Européen wird, wie er vom Bürgermeister von Nancy, André Rossinot einst gedacht worden war.

Luxemburg wird von diesen neuen Zügen allerdings nicht profitieren. «Wir würden diese Züge gerne nach Luxemburg fahren lassen. Der Bedarf ist vorhanden. Und wir könnten in den Spitzenzeiten pro Zug immerhin 550 Plätze statt 360 bisher anbieten», sagt Durr. «Nur, während diese Züge für Deutschland und die Schweiz homologisiert sind, fehlt die Anpassung für Luxemburg. Wir gehen davon aus, dass wir, wenn es ganz schlecht läuft, im Jahre 2014 erst die Zulassung für Luxemburg bekommen werden». Bis dahin bleibt es bei den sechs Zugpaaren aus der ersten Baugeneration, die täglich zwischen Luxemburg und Paris hin- und herfahren.

Konkurrenz für die Luftfahrt

Der TGV Est/Européen war ein Transportmodell, das niemand so richtig haben wollte. Dieses Transportmodell wich erheblich von der französischen Tradition ab. Gebaut worden war der Zug nämlich, um zwei Metropolen miteinander zu verbinden und weil in den 80er Jahren im Glauben an den unbedingten Fortschritt, der Luftraum über Frankreich immer enger wurde. Die Eisenbahn, so glaubte man damals, habe ausgedient mit ihrer Langsamkeit. Als Eisenbahntechniker dann aber nachwiesen, dass Geschwindigkeiten bis 300 km/h im Passgierverkehr im Rad/Schiene-System möglich waren, wurde mit einer TGV-Strecke von Paris nach Lyon eine neue Ära in Europa eingeläutet, die die Schiene neu entdeckte und Flugstrecken bis zu zwei Stunden überflüssig machen sollte. Paris-Lyon war die erste Strecke.

In den Osten Frankreichs hatte die französische Regierung ebenfalls schon sehr früh eine TGV Strecke vorgeschlagen. Mangels Geld sollte sie in Phasen gebaut werden, Stück für Stück. Das lehnten die Regionalpolitiker im Lothringen und im Elsass ab. Später mussten sie ein halbes Jahrzehnt darum kämpfen, und wurden auch noch zur Kasse gebeten. Um den TGV Est zu bauen, beteiligten sich die Regionen, die Départements und auch die großen Städte an den Baukosten. Luxemburg, dass ihn ebenfalls haben wollte, durfte ebenfalls dafür bezahlen, dass der Zug in den Bahnhof der Hauptstadt einfahren durfte.

TGV schrieb französische Geschichte

Der TGV Est hatte ursprünglich in Frankreich nur TGV Paris-Straßburg geheißen. Als es mit dem Geld eng wurde und Frankreich in Brüssel auf die Kassen schielte, erklärten die Europäer, dass sie kein Produkt zur Verbesserung nur der französischen Infrastruktur finanzieren würde. Bürgermeister Rossinot ernannte den TGV es dann zum TGV Est/Européen. Es bedurfte allerdings noch des energischen Einschreitens des damaligen luxemburgischen Wirtschafts- und Verkehrsministers Henri Grethen und des Duos Philippe Leroy und Oskar Lafontaine in Metz und in Saarbrücken, um die europäische Komponente zu verwirklichen.

Der TGV Est, wie er heute wieder kurz heißt, veränderte die französische Philosophie von Infrastruktur. Fuhren Züge in Frankreich zum Jahre 2007 immer vom Zentralpunkt Paris in eine andere Stadt, so verlangte Frankreichs Osten plötzlich etwas ganz anderes. Da man schon mit finanziere, solle der TGV nun eine Region erschließen. Das heißt der TGV solle nach Metz, nach Remiremont in die Vogesen, nach Reims, nach Luxemburg über Forbach und Saabrücken nach Frankfurt fahren, lautete das Verlangen, das erneut zu Diskussionen führte. Denn eine entsprechende Rentabilität oder auch nur die nötigen Passagierzahlen schien plötzlich nicht mehr gewährleistet.

60 Millionen Fahrgäste transportiert

Eine Sondersitzung der französischen Regierung unter Leitung von Premierminister Jospin entschied dann den Bau in zwei Phasen. Phase eins bis Baudrecourt mit dortiger Abbiegung nach Deutschland. In der zweiten Phase sollte die strecke bnis Straßburg weitergebaut werden. Im Jahre 2016, elf Jahre nach Inbetriebnahme der erste Strecke, wird der TGV dann auch auf eigenen Gleisen in den Bahnhof von Straßburg einfahren.

In den ersten fünf Jahren seines Bestehens hat der Zug alle Bedenken hinweg gefegt. Cristian Durr: «Insgesamt haben 60 Millionen Passagiere den TGV Est genommen. Er hat im vergangenen Jahr mit elf Millionen Fahrgästen das beste Ergebnis überhaupt verzeichnet . Die Züge sind im Durchschnitt zu 73 bis 74 Prozent besetzt. Das ist eine Erfolgsgeschichte der besonderen Art. Und von den 60 Millionen Fahrgästen gehen 15 Prozent auf das Konto Deutschland und Luxemburg. das bestätigt die internationale Dimension des TGV Est.»

Hohe Strom- und Nutzkosten

So sehr sich der Verkaufsdirektor darüber freut, so sehr macht ihm eine andere Entwicklung Sorgen. Die Rentabilität will nicht so recht mitspielen. Frankreich hat sein Eisenbahnsystem in eine Betriebsgesellschaft und in eine Infrastrukturgesellschaft aufgeteilt, die unter anderem für das Schienennetz zuständig ist. Durr: «Die Nutzungskosten für das Schienennetz sind sehr hoch und die Strompreise sind ordentlich angestiegen. «Wir können aber die Fahrpreise nicht dauernd anheben. Das würde die Fahrgäste nicht verstehen.» So sehr der TGV Est ein Erfolgsmodell ist, so sehr treibt er die Betreibergesellschaft SNCF doch auch in die Enge.

Andererseits hat der TGV Est mit seiner Öffnung vom Punkt-zu-Punkt-Verkehr zu einer Flächenbedienung in Frankreich auch ein neues Zug-Gefühl hervorgebracht. Die TGV-Züge fahren nicht mehr nur noch auf ihren eigenen Gleisen. Strecken wie die von Straßburg nach Rennes führen zu gut einem Viertel über alte Gleise. Der TGV bedient nun auch die Regionen untereinander. Von Straßburg über Lothringen und Lille nach London, hat der ehemals unmodernen und unbequemen SNCF neue Kundschaft eingebracht. Die alten Corail Wagen sind entweder ausgemustert oder modernisiert worden und fahren nun auf den alten Gleisen innerhalb der Regionen zu den Mittel- und Kleinstädten. Fünf Jahre TGV Est haben in Frankreich ein neues Eisenbahngefühl geschaffen.