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Lame duck vs. Visionär

Lame duck vs. Visionär
(Alain Rischard/editpress)

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Obama hat zwei Optionen, sein Amt zu beenden

Es herrscht eindeutig „Fin de règne“-Stimmung in Washington. So ziemlich jeder öffentliche Auftritt wird von US-Präsident Barack Obama genutzt, um sein politisches Erbe vorzubereiten. Allerdings könnte es noch ein wenig zu früh sein, um eine endgültige Bilanz über Obamas Amtszeit zu ziehen. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern die Möglichkeit und wohl auch den Willen hat, nicht eine „lame duck“, sondern ein Visionär zu sein. Es stimmt, dass der amtierende US-Präsident alles andere als ein Heiliger ist. Die NSA-Übermacht konnte und wollte auch er nicht eindämmen. Auch die Schließung von „Gitmo“ wird wohl als einer der größten dunklen Flecken auf seiner politischen Weste kleben bleiben. Es gibt zahlreiche weitere innenpolitische Beispiele, die man hier anführen könnte.

An einem Beispiel zeigte sich jedoch, wie groß Obamas Hebelkraft immer noch ist. Nachdem die USA mit Israel ein historisches Militärabkommen jüngst abgeschlossen haben, lautete die einfache Analyse: Die USA kuschen mal wieder vor Israel. Was vordergründig stimmt und auch kritische Zeitgenossen verstimmen mag, hat aber eine viel tiefgreifendere Ursache. Letzten Mittwoch trafen sich Obama und der israelische Premier Benjamin Netanjahu zum letzten Mal persönlich und als amtierende Staatenlenker. Dass beide keine Freunde mehr werden, dürfte niemand bestreiten. Allerdings zeigt der Blick auf zahlreiche israelische Analysten, wie die USA es eventuell schaffen könnten, eine UN-Resolution gegen Israel im UN-Sicherheitsrat durchzuwinken – und nicht in historischer Manier zu blockieren.

Einer der Beweise für diese These ist die alleinige Tatsache, dass Obama ein Schreiben von 88 Senatoren erhielt, die auf Drängen einer Lobby in den USA den Präsidenten dazu aufforderten, keine unausgewogene Resolution gegen Israel zu unterschreiben. Demnach kochen die Emotionen und die diplomatischen Anstrengungen im Hintergrund hoch. Mehrere Optionen wurden für Obama von seinen Diplomaten vorbereitet, nun liegt es an ihm, sich für den typisch feigen Weg zu entscheiden – oder aber Geschichte zu schreiben, indem er sich in einer realistischen UN-Resolution klar zu einer Zwei-Staaten-Lösung bekennt, in der nicht über Kommas und Wörter gestritten werden kann (man erinnere nur an die unsäglichen Diskussionen über Resolution 242 und die Streiterei um „from territories“ und „des territoires“).

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Präsident
am Ende seiner Amtszeit nichts mehr bewegen kann. Innenpolitisch ist er ohnehin tot. Allerdings bleibt die große Außenpolitik. Und gerade hier hatte Obama die größten Versprechen gemacht und wurde meist für seine visionären Reden zum Nahen Osten gelobt.

Umso bedauerlicher wäre es gerade jetzt, wenn er sich wieder einmal der üblichen Realpolitik hingibt. Israel hat aufgrund des jüngsten Militärabkommens mit den USA die nächsten zehn Jahre ein dickes Militärpolster. Wieso sollte Obama seinem Erzfeind Netanjahu nicht am Ende noch einen Strich durch die Rechnung machen und Geschichte schreiben?