Wir leben in einer beunruhigenden gesellschaftspolitischen Umbruchszeit. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International etwa beklagen eine schleichende Abkehr von bislang gültigen Normen in Sachen Grundrechte. Verbale Angriffe auf Ausländer und Andersdenkende werden wieder salonfähig. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung setzen Staaten auf Sicherheitsmaßnahmen, die weit in die Privatsphäre der Bürger eingreifen können.
Was Menschenrechtler beklagen, ist Ausdruck einer allgemeinen Kehrtwende im Verhältnis von Staaten und Ländern und von Gesellschaftsgruppen in den einzelnen Ländern zueinander. Kooperation weicht zunehmend der Konfrontation. Das geschieht derzeit in den USA, wo ein Präsident ein Land spaltet, statt es zu vereinen. Ähnliches ist in der EU zu beobachten, wo Vertreter von EU-Mitgliedsländern den Grundgedanken eines Vereinigten Europa mit nationalistischen Ansprüchen untergraben.
Diese Politik setzt sich in den internationalen Beziehungen auch auf unserem Kontinent fort. Bestes Beispiel ist das gegenwärtige Verhältnis zu Russland. Da geht die Rede von Abschreckung und Eindämmung. Die Bundeswehr schickt Panzer nach Litauen, unweit der russischen Grenze. US-Militärfahrzeuge werden erneut nach Deutschland verlegt. Es ist die Sprache des Kalten Krieges, begleitet von den entsprechenden Handlungen.
Erstaunlich und doch beängstigend ist es schon, wie flink Politikern drohende Worte über die Lippen kommen. Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite wirft Moskau vor, „sich demonstrativ auf einen Krieg gegen den Westen“ vorzubereiten. Die Sorgen der baltischen Staaten sind vielleicht nachvollziehbar. Doch derlei außenpolitisch aggressive Töne kommen nicht nur von dort. Am Donnerstag forderte der Luxemburger EU-Abgeordnete Frank Engel (CSV) den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Aserbaidschan, weil er von den dortigen Machthabern auf eine schwarze Liste gesetzt wurde. Sie werfen ihm vor, sich illegal in Bergkarabach aufgehalten zu haben, einer von ethnischen Armeniern besiedelten Region in Aserbaidschan, die sich von Baku trennen möchte. Natürlich sind verbale Angriffe eines EU-Abgeordneten mit denen ranghoher Länder- oder NATO-Vertreter nicht gleichzusetzen.
Dennoch zeichnet sich ein gemeinsames Grundschema ab. Statt zu reden, wird gedroht. Konflikte sollen nicht mehr am Verhandlungstisch ausgetragen werden, sondern durch militärische Stärke, die den Schwächeren in die Knie zwingen soll. Schon kündigt der US-Präsident eine „Modernisierung“ des Nuklearwaffenarsenals an. Als ob
die Tausenden bereits vorhandenen atomaren Sprengköpfe nicht schon ausreichen würden,
den Iwan und die ganze restliche Welt, wie wir sie derzeit kennen, unwiderruflich zu zerstören. In Europa liebäugelt der politische Strippenzieher Polens, Jaroslaw Kaczynski, mit Nuklearwaffen für die EU. Und ginge es nach Washington, müssten die NATO-Partnerländer, also insbesondere die europäischen, ihren Rüstungsetat massiv aufstocken.
Glücklicherweise gibt es noch weniger hitzköpfige Politiker. Einer von ihnen vertritt zwar nur einen, geografisch betrachtet, Mikrostaat, doch wird seine Stimme gehört. So lehnt Jean Asselborn diplomatisch das Ansinnen Engels nach einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Aserbaidschan ab (Tageblatt, 24.2.2017). Diskussion statt Konfrontation, so sein Leitmotiv.
Mehr solch besonnener Politiker täten Europa und der Welt ganz gut. Vor allem, um uns vor einem gar nicht mehr nur theoretisch möglichen neuen Krieg zu bewahren, aber auch um zu zivilisierteren Umgangsformen zwischen Ländern zurückzufinden, Voraussetzung, um bei klarem Kopf über die Wahrung der Menschenrechte zu reden. Und das nicht nur in Bezug auf Aserbaidschan, sondern auch auf die Türkei und neuerdings auch die USA.
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