Endlich können sich die Europäer vorstellen, was die Amerikaner ein Jahr lang durchgemacht haben: den 24-Stunden-Wahlkampf. Denn genau dies war bis zuletzt in Frankreich der Fall. Kein Tag verging ohne Skandale, Beleidigungen, politische Kämpfe und emotionale Debatten in der realen und der digitalen Welt. Es ist nachvollziehbar, dass sich unsere Nachbarn mittlerweile ausgelaugt und auch ein wenig desillusioniert fühlen: jene, die tatsächlich an Emmanuel Macron oder an Marine Le Pen geglaubt haben, weil sie fleißig die Werbetrommel gerührt haben. Und jene, die eine Verbesserung der Welt wollten und für Jean-Luc Mélenchon oder Benoît Hamon stimmten, weil ihre Träume zerplatzt sind. Und dann wäre eine Gruppe übrig, die niemand so recht im Visier hat und die sich auch offenbar mit den beiden verbliebenen Präsidentschaftskandidaten nicht so schwertut. Die Rede ist von niemand anderem als den klassisch erzkonservativen Wählern.
Also jenen Zeitgenossen, die ohne mit der Wimper zu zucken den mit Affären dekorierten „Les Républicains“-Kandidaten François Fillon gewählt haben. Während sich alle Kräfte der Gauche darüber zerstritten, ob nun ein „vote blanc“ oder gar die „abstention“ vertretbar ist, gerieten die Konservativen aus dem Blickfeld. Bemerkenswert: Genauso wie der rechtsradikale Front national (FN) banalisiert wurde, scheint es auch normal zu wirken, dass Frankreichs Konservative im Zweifelsfall eine Partei mit Antisemiten, Rechtsextremen und Homophoben in ihrer Basis wählen. Als Entschuldigung werden Politiker wie Nicolas Dupont-Aignan vorgeschoben. Mit dem FN werde es zwar eine harte Rechte geben, aber man könne sie bezähmen. Kommt einem bekannt vor, nicht wahr?
So ähnlich argumentieren Frankreichs Linke, wenn sie behaupten, dass man den FN auf der Straße bekämpfen könne, wenn er erst einmal gewählt sei. Alles halb so wild, denken sich Konservative und Linke. Das kalkulierte Risiko, die Republik und ihre Werte (von einst) zu opfern, nehmen viele aus unterschiedlichen Motiven in Kauf.
Allerdings sollte am Ende dieser fast tragischen Wahl kein Zweifel an einem Umstand bestehen: Dass die Konservativen seit jeher mit der braunen Soße geliebäugelt haben, und sei es nur aus wirtschaftlichen Interessen, ist kein Geheimnis. Denn es wird wohl, wenn Le Pen das Rennen nicht für sich entscheidet, nur einen einzigen Punkt geben, der sie sehr viele Stimmen im bürgerlichen Lager gekostet haben könnte: ihre haarsträubenden und realitätsfremden Äußerungen zum Euro. Obschon der FN stets mit dem Thema Immigration zu punkten weiß, gilt dies nicht für Wirtschaftsfragen. Denn besonders die Unentschiedenen, die Fillon wählten und sich zwar wirtschafts-, aber nicht zwingend gesellschaftspolitisch mit dem FN identifizieren können, dürften spätestens nach Le Pens Träumereien vom „Euro-Abschaffen“ ins Wanken geraten sein. Auch sie fragen sich bis zur letzten Sekunde, ob dieser FN, der selbst für sie ein wenig zu extrem, aber ertragbar wäre, ein großes Loch in ihrem Portemonnaie bedeuten könnte. Denn Business geht nun mal vor.
Und die Mélenchon-Anhänger? Sie sind mit Blick auf ihre Wahlabsicht ein Spiegelbild der Gauche: Zerrissener geht es kaum. Viele wollen aus wohl löblichen, aber doch egoistischen Motiven ihren „vote“ nicht prostituieren. Allerdings müssen sie sich die Frage stellen, ob ihr Idealismus am Ende nicht dazu führt, dass der FN gemeinsam mit den Konservativen die Republik in ein autoritäres Freudenhaus verwandelt.
dsabharwal@tageblatt.lu
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