Von Mark Leonard*
«Sie versuchen, uns mit der üblichen Erpressung von steigenden Risikoaufschlägen, fallenden Aktienmärkten und europäischen Drohungen zu stoppen», schrieb Matteo Salvini, Parteichef der italienischen Lega, auf seiner Facebook-Seite. «Diesmal», so insistierte Salvini, «kommt der Wandel.»
Jetzt hat er gemeinsam mit dem Chef der populistischen 5-Sterne-Bewegung (M5S), Luigi Di Maio, eine neue Regierung gebildet. Und wie Salvinis Äußerung nahelegt, könnte die Koalition zwischen M5S und Lega eine neue euroskeptische Bewegung repräsentieren, die imstande ist, an den Finanzmärkten, der Europäischen Union und den deutschen Haushaltsfalken Rache zu nehmen.
Tatsächlich hat Salvini bereits «Runde 2» im größeren Kampf zwischen dem italienischen Populismus und dem europäischen Establishment ausgerufen. Runde 1 endete im November 2011, als Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Sorgen der Finanzmärkte nutzten, um den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi aus dem Amt zu drängen. Und seitdem ist der populistische Euroskeptizismus im Aufstieg begriffen, insbesondere in Italien, was auf dessen Frontlage in der Migranten- und Flüchtlingskrise zurückzuführen ist.
Italiens jüngstes politisches Drama spielte sich vor einem größeren Hintergrund europaweiter politischer Veränderungen ab. Die Märkte wurden im vergangenen Monat durch den Entwurf eines M5S/Lega-Dokuments aufgeschreckt, der nahelegte, dass Europa zur Phase vor dem Vertrag von Maastricht des Jahres 1992 und der Einführung des Euro zurückkehren sollte. Doch sollte man derartige Berichte mit Vorsicht betrachten.
Sowohl M5S als auch Lega haben sich bisher in der Frage, wie weit sie die eurofeindliche Agenda vorantreiben wollen, als ambivalent erwiesen, und beide reagierten auf das durchgestochene Dokument, indem sie versicherten, dass der Euro derzeit nicht zur Diskussion stehe. Ende Mai dann sorgte Italiens Präsident Sergio Mattarella für Aufruhr, indem er die Ernennung des euroskeptischen Ökonomen Paolo Savona zum neuen Wirtschafts- und Finanzminister blockierte, was nahelegte, dass die Gemeinschaftswährung in der Zukunft doch noch ein zentrales Thema werden könnte.
Zwei Stränge des Populismus
Eine italienische Regierung, die zwei ganz unterschiedliche Stränge des Populismus vereint, stellt für das europäische Projekt eine ernste Bedrohung dar, weil sie den Kern eines neuen Bündnisses bisher getrennt agierender Populisten und Euroskeptiker bilden könnte. Die Euroskeptiker wären dann nicht mehr in unterschiedliche Tribus einwandererfeindlicher Politiker auf der Rechten und austeritätsfeindlicher Politiker auf der Linken gespalten.
Natürlich sind M5S und Lega seltsame Bettgenossen, was auch der Grund dafür ist, dass sie es, nach dem Gewinn einer gemeinsamen Mehrheit am 4. März, zunächst nicht schafften, eine Regierung zu bilden. Doch wenn ihre Regierung Erfolg hat, könnte ihr politisches Programm als Vorlage für Populisten überall in der EU dienen. Man betrachte etwa die internationale Agenda der Lega, die einen Kreuzzug gegen die Einwanderung und eine Rückkehr zu stärker traditionellen Werten propagiert. Dies sind dieselben Vorstellungen, die Ungarns zunehmend autoritären Ministerpräsidenten Viktor Orban beseelen, der inzwischen eine enge Beziehung zu Salvini geschmiedet hat.
Die M5S ihrerseits hegt keine Antipathie gegen die einwandererfeindliche Agenda der Lega und würde diese komplementieren, indem sie die mediterranen Mitgliedstaaten unter einem austeritäts- und nordeuropafeindlichen Banner sammelt. Obwohl sich Frankreich und Spanien dieser Sache vermutlich nicht anschließen würden, könnten Griechenland und andere Länder das möglicherweise tun, und gemeinsam könnten sie die EU-Politik ernsthaft destabilisieren.
Zudem passiert all dies im Schatten der Europawahlen im nächsten Jahr, an denen sich vermutliche eine Welle populistischer Parteien überall auf dem Kontinent beteiligen wird. Den europäischen Populisten wäre nichts lieber, als ein dem Selbsthass verfallenes Parlament zu schaffen, in dem eine Mehrheit der Abgeordneten bereits die bloße Existenz der Institution, in der sie dienen, ablehnt. Käme es dazu, hätte das zugleich weitreichende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Europäischen Kommission und anderer Regierungsgremien der EU, die traditionell von den politischen Krawallen auf nationaler Ebene abgekoppelt waren.
Doch während die populistischen Kräfte mobil gemacht haben, gilt Gleiches auch für den Mainstream, insbesondere seit Emmanuel Macrons elektrifizierendem Sieg bei den französischen Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr. Macron hat eine neue Welle des Denkens über das europäische Projekt eingeführt; und wie die Populisten selbst repräsentiert er den Wandel anstatt des Status quo. Macrons Genie besteht darin, dass er die traditionellen Trennlinien zwischen Links und Rechts und zwischen EU-Integration und nationaler Souveränität nicht akzeptiert. Er verkörpert eine Geschichte, die jenen Europäern, die sich abgehängt fühlen, gefallen könnte.
Versprechen von Macron und Merkel
Macron und Merkel haben versprochen, innerhalb des nächsten Monats einen Entwurf für Reformen auf EU-Ebene vorzulegen. Eine der interessanteren zur Disposition stehenden Ideen ist die eines «flexiblen Europas», das es einer Koalition williger Mitgliedstaaten erlauben würde, eine tiefer gehende Integration voranzutreiben, und zugleich die Tür für andere offenhielte, zu einem späteren Zeitpunkt beizutreten. Falls Italien den populistischen Weg weiterverfolgt, wird es sich selbst aus dieser Kerngruppe ausschließen.
Die große Frage in dieser Phase der europäischen Geschichte ist daher, ob sich die Mainstream-Reformer gegen die Populisten durchsetzen werden. Das alte/neue deutsch-französische Tandem will den europäischen Kern neu erfinden und so die Euroskeptiker an den Rand drängen. Doch Salvini und Di Maio wollen aus diesem Rand den neuen Kern erschaffen und so die traditionell führenden Mächte der EU isolieren.
Es versteht sich von selbst, dass dies ein langes Spiel wird. Der europäische Kern hat die erste Runde gewonnen, als er effektiv Berlusconi durch Mario Monti ersetzte, der in den europäischen Hauptstädten sehr beliebt war. Und doch legt das Wiedererstarken des Populismus in Italien nahe, dass dies ein Pyrrhussieg gewesen sein könnte.
Laut einer aktuellen Studie des European Council on Foreign Relations ist die Unterstützung der Öffentlichkeit für die EU zwischen 2007 und 2017 in Italien stärker als in jedem anderen Mitgliedstaat zurückgegangen. Es ist daher kein Wunder, dass sich Italien in kurzer Zeit von einem Land mit einer der EU-freundlichsten Regierungen innerhalb des Blocks zur potenziellen neuen Vorhut des europäischen Populismus entwickelt hat.
Doch noch ist für diejenigen, die weiterhin an das europäische Projekt glauben, nicht alle Hoffnung verloren. Der Silberstreif am Horizont des Erfolgs der Euroskeptiker ist, dass die Freunde Europas aus ihrer Selbstgefälligkeit aufgerüttelt wurden. Die Lebensfähigkeit beider Bewegungen wird nun auf die Probe gestellt werden, beginnend in Italien.
*Mark Leonard ist Direktor des European Council on Foreign Relations.
Copyright: Project Syndicate, 2018
Dieser Artikel ist pro domo geschrieben und man liest zwischen den Zeilen die Verzweifelung , dass die EU-Strategen immer mehr die Kontrolle verlieren und nicht mehr ihr gewünschtes Narrativ durchsetzen können. Grundsätzlich ist also jeder Euroskeptiker schon man ein Populist. Wer den neoliberalen Grundkonsenz stört wird dann auch noch gleich hinzugepackt und eine Kontrolle der Migrationsströme wird gar als" Kreuzzug gegen die Einwanderung" dargestellt. Die EU -Politiker sind selbst daran Schuld wenn sie die Realitäten verweigern und die politischen Wille der Bürger grandios ignorieren. Die EU sabotiert sich selbst weil sie die selbst aufgestellten Regeln missachtet und einen Zentralstaat strebt mit wenig demokratisch Basis.
Die Skepsis gegenüber der EU, d.h der EU Kommission wächst eben in Europa, da sollte sich die Kommission etwas einfallen lassen damit sie nicht in den Augen der EU Bevölkerung in den jeweiligen Mitgliedsländern als ein technokratisches und undemokratisches Monster wahrgenommen wird...