Ainhoa Achutegui schreibt über getanzte Gewalt
Letzte Woche sah ich auf einem Tanzfestival ein finnisches Duett, das mich sehr bewegt hat. «Rehearsal on Love» der Kompanie Raekallio Corp. (Choreograf: Valtteri Raekallio) ist eine Geschichte über Verführung und Liebe, aber auch über Intimität und deren mögliche Auswüchse. Das Stück, das anfangs viele erotische Momente zwischen einer Frau und einem Mann bereithält, wechselt langsam und doch schnell in eine sehr aufwühlende körperliche Beschreibung einer schweren Gewaltspirale. Das Tanzpublikum bekommt nicht sofort mit, dass ihm das Aufkommen von häuslicher Gewalt vorgeführt wird, weil es die Anzeichen zunächst nicht erkennt.
Interessant an diesem Duett ist auch das Alter der zwei Darstellenden, beide circa 45. Dadurch wird das Stück realistischer, es sind keine optimierten Körper, die sich dem Tanz ergeben, sondern zwei Menschen, die über Bewegungen die ureigene Geschichte eines Paares erzählen. Die Tanzbewegungen sind perfekt, oft auch gekünstelt (was an sich ja gut ist), sie werden nur durch sehr konkrete Momente gebrochen (Ziehen an den Haaren, Heranziehen zum Küssen, Wegstoßen, Anspucken). Dieses Wechselspiel von Gekünsteltem und Ästhetisierendem zum Pragmatischen erzeugt beim Publikum ein ständiges «back to reality» und gezwungenermaßen ein Nachdenken über psychologische Gewalt und ihre Dynamiken bei einem Liebespaar.
Wie auch oft im sogenannten echten Leben setzt häusliche Gewalt nicht unbedingt sofort ein, sie schleicht sich nur langsam in die Geschichte eines Paares ein und wütet dort im Stillen. Das Publikum (also die Umgebung) bekommt nichts mit, manchmal genauso wenig wie die Beteiligten. Wie entwickelt sich Intimität zu Gewalt? Und vor allem: wieso? Das Stück gibt keine Antwort auf das Warum, es beschreibt oder begleitet nur eine bekannte Entwicklung von Intimität bis hin zu Gewalt. Das Stück «Rehearsal on Love» ist schon in seinem Titel bezeichnend: Ist Liebe tatsächlich mit Gewalt verbunden? Wieso kehren beide immer wieder zueinander zurück, warum wird die Gewaltspirale nicht abgebrochen?
Kunst kann ästhetisierend oder kontemplativ sein und Emotionen in uns hervorrufen, die im Bereich des sogenannten Erhabenen liegen. Doch Kunst kann uns auch die Augen öffnen und uns erlauben, gesellschaftliche Probleme oder Missstände nicht nur über die Ratio zu erfassen, sondern auch über die Emotionalität zu erfahren. Wir verstehen den Titel, wenn wir das Stück zu Ende erleben: Die Frau bricht nämlich die Dynamik auf und geht. Ohne zurückzuschauen. Die Liebe, die sie geprobt hatte und um die es sich handelte, war die Liebe zu sich selbst.
Ich habe erfahren, dass dieses Stück am 3. Mai im Rahmen des 3 du TROIS in der «Banannefabrik» gezeigt werden wird. Auf keinen Fall verpassen!
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