Die Zukunft wird zeigen, ob Bettels Mannschaft richtig handelte oder überreagierte. Derzeit scheint die Pandemie unter Kontrolle. Der befürchtete Ansturm auf die Intensivstationen blieb aus. Die Zahl der Infizierten flacht ab, diejenige der Genesungen steigt. Es gibt eigentlich nicht viel mehr Tote als bei vorherigen Grippen-Epidemien. Etwa 2018. Doch die panische Reaktion fast aller Regierungen löste eine weltweite Wirtschaftskrise aus. Die riskiert länger zu dauern als die Pandemie selbst.
Laut UNO gibt es 247 Länder und Territorien. 213 davon meldeten Covid-Fälle. Immun blieben nur einige Insel-Konfettis im Pazifik sowie stramme Diktaturen wie Nordkorea oder Tadschikistan. Wo das Virus anscheinend Einreiseverbot hat. Es gibt somit wahrscheinlich eine hohe Dunkelziffer bei Kranken wie Opfern. Was die Rückkehr zu den internationalen Handels- und Reiseströmen nicht einfacher macht.
Bis zum 1. Mai starben dieses Jahr weltweit rund 20 Millionen Menschen. Bei gleichzeitigen 46 Millionen Geburten sowie 14 Millionen Abtreibungen. Sonst läge der Zuwachs der globalen Bevölkerung noch höher. Von diesen 20 Millionen starben 2,8 Millionen an Unterernährung. 280.000 durch verseuchtes Wasser. Die Malaria raffte 330.000 Menschen dahin. 560.000 starben an Aids. „Zivilisations-Krankheiten“ wie Autounfälle (450.000 Tote), Tabak (1,6 Millionen), Alkohol (840.000), Drogen (300.000) sowie Selbstmorde (360.000) runden das Bild ab. Weitere 4,4 Millionen Menschen starben durch ansteckende Krankheiten. Darunter 250.000 an Covid-19!
Die brutale Reaktion auf die Coronakrise hat eine weltweite Rezession angestoßen, die in eine nachhaltige soziale Krise mündet. Die Arbeitslosigkeit wird steigen, damit die Armut und das Elend. Mit zusätzlichen „normalen“ Krankheiten und Toten.
Verbots-Orgien
Die Reaktion der Staaten auf das neue Virus folgte eingespielten Mustern. In China, zentralistisch regiert von der kommunistischen Partei, wurde eine totale Ausgangssperre in der Millionenstadt Wuhan und der Provinz Hubei verhängt. Das rabiate Vorgehen zeigte Erfolg. Es wurde zum Vorbild für Demokratien wie autoritäre Staaten. Überall wurden die Staatsgrenzen hochgezogen, Aussperrungen und Quarantänen eingeführt. Südkorea und Taiwan muteten ihren Bürgern eine zentral gesteuerte Überwachung und damit die Ausgrenzung der Kranken zu, die europäische Datenschützer an den Rand des Herzinfarktes bringen würden.
In Europa und in den USA verfolgte man anfänglich mit viel Überheblichkeit die Ereignisse in Wuhan. Boris Johnson und Donald Trump spielten die Gefahren herab. Ebenso Putin in Russland sowie Erdogan in der Türkei. Wie die vielen Politiker und Kommentatoren, die nachher schon vorher immer alles wussten. Selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wartete bis zum 11. März 2020 mit dem offiziellen Ausruf der Pandemie! Danach machte die Politik überall das, was sie am besten kann: Verbote erlassen!
Es ist sicherlich vernünftig, die Infektionsketten zu unterbinden, indem Menschenansammlungen verhindert, Abstand gehalten und hygienische Schutzmaßnahmen getroffen werden. Wie viel zu viel ist, lässt sich nicht feststellen.
Schweden ist eines der wenigen Länder, das keinen totalen Lockdown verfügte. Der schwedische Alleingang beruht auf einer institutionellen Besonderheit. Nicht die Politik, sondern ein unabhängiger Beamter, der Chef-Epidemiologe, bestimmt die sanitären Maßnahmen. Ob Schwedens Reaktion besser oder tödlicher war, kann erst im Rückblick evaluiert werden. Interessant ist, dass der Umsatz der Gaststätten ohne deren Schließung dennoch zur Hälfte schrumpfte. Die Angst der Konsumenten sitzt tief. Sie wird auch nach einer Lockerung der Schutzmaßnahmen nachwirken.
Reise nach Absurdistan
Die schnellen Verbote waren nirgendwo richtig durchdacht. So durften die großen Konsumtempel weiterhin zur Verpflegung der Bevölkerung offen halten, die sich anfänglich total ungeschützt nicht nur auf das Klopapier stürzte, sondern Bücher, Blumen, Gartenartikel und alle mögliche Hardware einkaufen konnte – während der Fachhandel geschlossen blieb.
In Deutschland bestimmen die Bundesländer die Spielregeln. Nicht immer abgestimmt. Einige erlaubten, andere verboten den Verkauf von Speiseeis durch Eisdielen. Hier wurde Golfspielen verhindert, dort mit Abstandsregeln erlaubt. Mit dem absurden Resultat, dass bei Bremen ein über die Landesgrenze gelegener Golfplatz zur Hälfte geschlossen blieb. Es war der liberale Oberbürgermeister von Jena, der als Erster die Maskenpflicht verhängte.
Frankreich, ein zentralistisch geführter Polizeistaat, zwingt die Bürger zum aufwendigen Papierkrieg zwecks Dokumentierung jeden Schrittes außer Haus. Sonst drohen saftige Strafen. Die nun angestrebte Lockerung richtet sich nach den „Départements“, deren Grenzen zu Napoleons Zeiten festgelegt wurden. Die das Virus selbstredend zu beachten hat!
In Luxemburg dürfen Sinn und Zweck mancher Verbote durchaus hinterfragt werden. Die grüne Ministerriege ist seit Beginn der Krise praktisch auf Tauchstation. Bloß Polizeiminister François Bausch rechtfertigte die saftigen Ordnungsstrafen von 145 Euro. Er gab dabei widersprüchliche Signale über die erlaubte Mobilität. Zuerst waren Ausflüge mit dem Motorrad verboten. Nach Protesten der Biker-Lobby sind sie nunmehr geduldet. Weshalb darf man sein geschlossenes Auto nicht benutzen, um etwa zu einem „Auto-pédestre“ ins schöne Müllerthal zu fahren? Obwohl eine Ministerin es vormachte.
Sühne muss sein
Die Überreaktionen der Staaten gründen auf der jüdisch-christlichen Ethik von „Schuld und Sühne“. Für viele ist die Pandemie eine gottgewollte Strafe, gar eine Versündigung gegen die Natur. Deshalb muss Sühne erfolgen, sind Strafen und Bußgelder fällig. Ist es nicht absurd, dass individuelles Joggen erlaubt bleibt, aber nicht entlang von Stränden? Bei Golf, Tennis oder Surfen bleiben die Teilnehmer automatisch auf „sozialer“ Distanz. Infektionen sind somit unwahrscheinlich. Dennoch bleibt solcher „Reichen-Sport“ geächtet. In Frankreich versuchten viele Pariser, die Quarantäne durch einen Aufenthalt in ihrem Feriendomizil oder bei den Großeltern auf dem Land zu mildern. Solche „Privilegien“ sind „ethisch“ inakzeptabel. Bürgermeister nahmen Erlasse gegen Covid-Tourismus. Autos mit Pariser Kennzeichen wurden von „solidarischen“ Lokalpatrioten beschädigt. Auch in Deutschland riegelten sich Ferieninseln ab für Besitzer von Zweitresidenzen. Gerechte Strafen für Kapitalisten?
Für manche Umweltschützer ist das „wahre Virus“ der Mensch. Mit Covid-19 räche sich die Natur. Der Virus sei ausgebrochen durch Biodiversitätsverluste. Er sei die Folge der Beschneidung der natürlichen Lebensräume durch den Menschen. Das ist eigentlich ein typisches anthropozentrisches Weltbild, das den Menschen zum Feindbild der Natur erklärt. In dem Maße, wie viele Menschen sich von den traditionellen Religionen abwandten, wuchs in den USA und in Europa eine verklärte Natur zur neuen Gottheit heran.
Dabei leben wir auf einem sehr aktiven Planeten, der von Plattentektonik, Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Tsunamis, Erosion, Erdrutschen und von täglich 50.000 Unwettern geprägt wird und auf dem die Evolution eine nicht abschätzbare Zahl von Pflanzen und Lebewesen schuf, die meistens in Konkurrenz zueinander stehen. Wobei es immer wieder Gewinner wie Verlierer gibt. Die Mehrheit aller je existierenden Pflanzen und Lebewesen wurde ausgelöscht. Wie der Niedergang der Dinosaurier belegt, waren die Überlebenden nicht immer die stärksten, sondern jene, die sich am besten dem Wandel anpassen konnten. Wie der Mensch.
Der Mensch ist Teil der Natur. Die Natur ist weder gut noch böse. Es gibt natürliche Heilmittel und natürliche Gifte. Die Natur kennt keine ethischen Normen. Fressen und gefressen werden gehören zum „natürlichen“ Leben. Die einzige erkennbare Logik des Lebens besteht darin, dass jede Pflanze, jedes Lebewesen nach Fortpflanzung trachtet. Selbst Mikroben und Viren. Wobei Wissenschaftler sich darüber streiten, ob Viren überhaupt „leben“. Sie können sich nicht eigenständig reproduzieren, benötigen eine Zelle als Wirt.
Der Gedanke, die Natur würde sich nunmehr über Viren an den Menschen „rächen“, ist geradezu absurd. Er setzt voraus, die Vielfalt des Lebens besäße einen gemeinsamen Geist und Willen, gebündelt im Einsatz gegen den „Bösewicht Mensch“. Die heilige Allianz der Bäume, Moose und Schlingpflanzen, der Schimpansen, Krokodile und Haie, der Ameisen, Termiten und Moskitos, der Pilze, Mikroben und Viren gegen den Menschen. Der Schuld an allem trägt. Deshalb sühnen muss. Die Erbsünde ist nicht weit.
*Robert Goebbels ist ein ehemaliger Minister (LSAP) und Europaabgeordneter
Bravo. Guter Artikel.
Allerdings stehen Bettel&Co nicht alleine da was die Maßnahmen betrifft. Dafür profitierte Luxemburg von der besseren Gesundheitsinfrastruktur und eben auch,Lebensqualität. Was in Italien,England,Spanien und Frankreich zum Horrortrip wurde,blieb in anderen Eu-Ländern aus. Die französischen Pfleger-und Ärzte weisen seit Jahrzenten auf die Missstände im Gesundheitswesen hin.Ohne Gehör zu bekommen müssen sie sich in Spitälern herumschlagen wo teilweise der Gips von den Mauern rieselt. Jetzt gibt es die Quittung. Mit brachialen Maßnahmen wurde versucht das Virus einzudämmen.Mit mäßigem Erfolg wie wir heute wissen.Die Sterblichkeitsrate in jedem Land entspricht dem Durchschnittsalter der Bevölkerung,dem Gesundheitszustand und der Lebensqualität(Wohnraum und Bevölkerungsdichte).Schweden macht uns vor wie es hätte sein können. Ob die Politik jetzt verstanden hat,dass man Gesundheit nicht privatisieren kann??!