Es ist bezeichnend für den tristen Zustand der Welt, dass die vielen nationalen Kraftübungen multilateral nicht abgestimmt werden. Jeder Staat igelt sich egoistisch ein. Installiert Schlagbäume und Stacheldrahtzäune an seinen Grenzen.
Das schützt zwar nicht vor Viren, erlaubt aber der Politik, den verängstigten Bürgern vorzugaukeln, ihre sanitäre Sicherheit würde durch totale Abschottung verbessert. Die negativen Folgen werden nachhaltig sein. In allen großen Volkswirtschaften. Noch destruktiver in der weniger entwickelten Welt.
Bis Mitte März hatten 80 der 189 Mitgliedstaaten des Internationalen Währungsfonds (IMF) schon Beihilfen beantragt. Viele werden nachkommen. Die Weltwirtschaft schwächelte schon vor dem Ausbruch der Corona-Krise. Die von den USA angezettelten Handelskriege oder die Embargos hatten von China über Russland und den Iran bis hin zur EU zu wirtschaftlichen Einbrüchen gesorgt. Die Covid-19-Pandemie hat diese negative Tendenz zu einem weltweiten Tsunami verstärkt.
Touristik im Koma
Ganze Sektoren sind eingebrochen, angefangen bei Logistik und Touristik. Von den 120 in der IATA organisierten internationalen Fluggesellschaften machten 2019 nur rund ein Viertel Gewinn. Praktisch alle sind hoch verschuldet und haben überdies viele neue Flugzeuge bestellt – mit denen sie vorläufig nichts anzufangen wissen.
Millionen Hotelbetten stehen quer über den Globus leer. Die Tourismusbranche ist zum Erlegen gekommen. Kreuzfahrtschiffe liegen alle vor Anker. Die Unterhaltungsindustrie, darunter alle Sport-Events, liegt ebenfalls im Koma. Das bringt große finanzielle Ausfälle für Fluggesellschaften, Hotelketten, Gastronomiebetriebe, Reedereien. Bedeutet gleichzeitig für viele Volkswirtschaften quer über den Globus den Ausfall der wichtigsten Einnahmequelle.
Die Malediven etwa, die im vergangenen Jahr 1,5 Millionen Touristen empfangen haben. Anderen Traum-Inseln im Pazifik, von den Fidschis über Polynesien bis hin zu Hawaii, gehen die Besucher aus. Es landen kaum noch Flugzeuge, es gibt keine Kreuzfahrten mehr, somit keine Einnahmen und keine Arbeit für Zehntausende von Beschäftigten in der wichtigsten Branche vieler Länder.
Das gleiche Szenario spielt sich in der Karibik oder um das Mittelmeer ab. Selbst für ein reiches Öl-Land wie Saudi-Arabien stellt der Tourismussektor praktisch ein Achtel des jährlichen Nationaleinkommens dar.
Finanzkrise im Anmarsch
Zu dem Ausfall der für viele Länder Asiens, Afrikas und Südamerikas lebenswichtigen Tourismusindustrie gesellt sich eine steigende Kapitalflucht. Die massive Wertvernichtung an allen Börsen der Welt hat internationale Anleger veranlasst, seit Beginn März an die 100 Milliarden Dollar aus den „Emerging Markets“ abzuziehen. Mit einem „submerging Impact“ auf die ohnehin geschwächte Volkswirtschaften. Die schnelle Kontraktion der Gesamtbilanz der in Luxemburg registrierten Investmentfonds ist nur eine Illustration der globalen Wertverluste an den Finanzmärkten.
Reichtum ist letztlich eine Konvention. Man muss an den Wert des Dollars, des Euros, der Aktien, Obligationen sowie anderer Finanzinstrumente glauben. Hinter diesem „Fiduz“ steht nur die Hoffnung, ein anderer würde die erworbenen Wertpapiere zu einem höheren Preis kaufen. Etwa bei eigentlich verrückten Produkten wie dem Bitcoin und anderen Kryptowährungen, die, weil geschaffen aus dem Nichts, zu Staub prädestiniert sind, wenn selbst leise Zweifel aufkommen.
Wenn überall die Börsenindexe binnen eines Monats bis zu einem Drittel an Wert verlieren, ist das sowohl eine theoretische wie auch eine reale Geldvernichtung. Theoretisch, weil alle Sachwerte ohne Käufer rechnerisch gleich null stehen. Real, weil die Besitzer von plötzlich unbegehrten Finanzinstrumenten ihre Kaufkraft verlieren.
Relativer Reichtum, reale Armut
Die viel kritisierten Reichen sind vor allem reich durch den Buchwert ihrer Aktien und anderer Besitztümer. Der derzeit reichste Mann der Welt, Amazon-Boss Jeff Bezos, verlor in wenigen Tagen viele Milliarden Dollar an Börsenvermögen. Keine Sorge, es geht ihm immer noch gut.
Weniger gut geht es quer über den Erdball Milliarden Menschen, die im Gefolge der von der Corona-Krise ausgelösten Rezession Arbeit und Einkommen verlieren. Viele Europäer wähnen sich in der europäischen Hölle. Dabei wird die EU vom Rest der Welt als ein Paradies angesehen. Was erklärt, weshalb Millionen Flüchtlinge ihr Leben riskieren, um in die „Hölle“ der Europäer zu gelangen.
Nirgendwo sonst ist das soziale Auffangnest so eng geknüpft wie in Europa. In den USA gibt es kaum Absicherung im Krankheitsfall. Bei einer Krise verlieren Millionen ihre Arbeitsplätze ohne viel Entschädigung. Dagegen wird in Europa kaum jemand fallen gelassen, wie es nunmehr in Luxemburg die schnelle Reaktion der Regierung auf die Krise beweist.
Wegen einiger Engpässe bei der Lieferung von dringend benötigtem Material wird die „Globalisierung“ an den Pranger gestellt. Gewiss muss die internationale Arbeitsteilung überdacht werden. Sie ist dennoch nicht durch rein nationale Produktionen zu ersetzen.
Die fast komplette Abhängigkeit der Europäer von den in China produzierten Medikamenten ist zu korrigieren. Damit müssen die Europäer jedoch ihre Ängste gegenüber der „bösen“ Chemie aufgeben. Ebenfalls die noch unbeliebtere Gen-Technologie akzeptieren. Viele der wichtigsten Medikamente sind heute das Produkt von „genetischen Manipulationen“.
„Mattscheibe“ für nationale Nimby*?
Sieht man in Luxemburg die verbreiteten Berührungsängste mit neuen Industrien, und sei es nur eine harmlose Jogurt-Fabrik, darf man Zweifel hegen über die Bereitschaft vieler Mitmenschen, in ihren „Backyards“ die Medikamenten-Chemie zu akzeptieren.
Seitdem sich die Luxemburger wegen Viren-Gefahr innerhalb ihrer vier Wände eingraben, sind die digitalen Kommunikationen explodiert. Netflix und Co. akzeptierten sogar eine Minderung der Qualität ihres Streaming-Angebots, weil die Internet-Netzwerke unter dem verstärkten Ansturm von Milliarden Nutzer zusammenbrechen drohten. Dennoch ist hierzulande die Akzeptanz für ein Google-Datacenter nicht gestiegen. Ohne die in den Hütten wie in den Palästen „Mattscheibe“ herrschen würde.
Es wird viel über „den Tag danach“ geschrieben oder philosophiert. Zu hoffen ist bloß, dass nach der Krise den meisten Mitmenschen bewusst sein wird, dass mehr nationale sowie internationale Solidarität unumgänglich sind. Wir leben in einem Staat, der dank vielen wirtschaftlichen Innovationen und einer vorsichtigen Finanzpolitik jetzt die Mittel besitzt, Arbeitnehmer und Firmen in schwierigen Zeiten zu helfen. Wir müssen weg von den nationalen Egoismen. Wir benötigen mehr Schengen, mehr Europa, bessere internationale Zusammenarbeit.
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass Luxemburg zusammen mit anderen EU-Staaten nunmehr gemeinsame „Corona-Anleihen“ in Euro auflegen will. Zusammen haben die Europäer einen tieferen und damit glaubwürdigen Markt für Obligationen als die hoch verschuldeten Amerikaner. Gemeinsame Euro-Anleihen, selbst unter dem Vorwand der Bekämpfung von Corona, werden Europa stärken. Und die Europäer in die Lage versetzen, sich für eine bessere Weltordnung einzusetzen. Eine inklusivere Globalisierung für die vielen Staaten der Welt, die noch immer nicht in den internationalen Handel eingebunden sind. Die bislang bestenfalls von den Brosamen der Touristen lebten.
* Nimby steht für „Not in my backyard“ und bedeutet, Probleme nicht im unmittelbaren Umfeld zu ertragen
Bravo.
" Man kann nicht genug klagen-" ist vorbei. Wenn die EU sich jetzt nicht als "Union" manifestiert,dann braucht sie es nie mehr zu tun.
Wie schnell sich die Zeiten ändern wenn's ans Eingemachte geht.Da redet niemand mehr von Fledermäusen oder einem Teich in der Wiese mit seltenen Fröschen. "Vermissen Sie den Dodo?" (ausgestorbener Laufvogel) . "...wenn der letzte Baum gerodet,der letzte Fisch etc.etc...werdet ihr merken,dass man Geld nicht essen kann:" Alles schön und gut in fetten Zeiten,aber heute merken viele,dass man ohne Geld nicht essen kann.
Sehr guter Artikel. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit und mehr Europa.