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StandpunktRealistischer Technologie-Optimismus

Standpunkt / Realistischer Technologie-Optimismus
Scherzhaft heißt es, dass die erfolgreiche Kernfusion seit Jahrzehnten immer 30 Jahre in der Zukunft liegt. Nun, da sie im Labor gelungen ist, könnte es tatsächlich stimmen. Foto: Damien Jemison/Lawrence Livermore National Laboratory/AP/dpa

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Immer, wenn es in der klimapolitischen Debatte um bestimmte Wirtschaftssektoren, um mögliche Technologien zur CO2-Reduktion oder um Energiestrategie geht, stellt sich dieselbe grundlegende Frage: In welchem Maße können wir auf „einfache“, vorzugsweise „billige“ technische Lösungen vertrauen? Kann man dem Klimawandel beikommen, indem man darauf setzt, dass die Menschen von sich aus zu kohlenstoffärmeren Technologien wechseln, oder bedarf es doch fundamentalerer Veränderungen der Art und Weise, wie wir leben und uns als Gesellschaft organisieren?

Dabei handelt es sich nicht nur um philosophische oder akademische Fragen. In der heutigen politischen Kultur gehören sie zu den Themen, die Rechte und Linke am stärksten entzweien. Die eine Seite vertraut darauf, dass Märkte und neue Technologien alles regeln werden, während die andere Seite darauf beharrt, dass die öffentliche Politik eine führende Rolle spielen muss. Ja, dieses Bild ist stark verzerrt. Doch die Erkenntnis, dass viele Politiker, Polemiker und deren Anhänger die Angelegenheit genauso darstellen, kann uns bei der Analyse und letztlich der Verbesserung dessen helfen, wie Entwicklungen auf dem Gebiet sauberer Technologien aufgenommen werden.

Man denke an den mutmaßlichen wissenschaftlichen Durchbruch im Bereich Kernfusion im vergangenen Monat. Dabei rückten langjährige Debatten über die Kernenergie wieder in den Vordergrund. Techno-Optimisten haben die Idee aufgegriffen, dass wir mit Kernfusion eine Quelle tatsächlich unbegrenzter sauberer Energie erschlossen haben könnten. Das wäre im Interesse aller, unabhängig von der politischen Einstellung, und es scheint zu bestätigen, dass menschlicher Einfallsreichtum der Schlüssel zu unserer Rettung ist.

Aber nicht einmal die glühendsten Techno-Optimisten können behaupten, dass uns Technologie allein retten wird. Schließlich fand diese erste Fusionszündung im Lawrence Livermore National Laboratory statt, einer auf US-Bundesebene geführten Forschungseinrichtung, in der Forschende mit Steuergeldern finanzierte Experimente durchführen.

Keine Überraschung

Ja, auch Start-ups arbeiten an der Kernfusion in der Hoffnung, im kommenden Jahrzehnt die ersten Demonstrationsanlagen in Betrieb nehmen zu können. Aber auch sie fordern lautstark staatliche Mittel, sei es in Form direkter Subventionen oder Kreditgarantien des Energieministeriums, die durch den „Inflation Reduction Act“ ermöglicht werden. Im Vereinigten Königreich oder anderswo stellt sich die Lage nicht anders dar und die Frage ist auch nicht auf Fusionstechnologie beschränkt. Das Silicon Valley, dieser Hort des Technoliberalismus, ist stärker als viele andere Branchen auf staatliche Finanzierung und vorteilhafte politische Maßnahmen angewiesen.

Keine Überraschung ist das für diejenigen, die im Energiesektor arbeiten, zu dem einige der weltweit am stärksten regulierten, besteuerten und subventionierten Branchen zählen. Regierungen wählen die ganze Zeit Sieger aus und Lobbyismus spielt dabei keine geringe Rolle.

Wenden wir uns nun einer zweiten Geschichte der letzten Zeit zu. Nachdem eine amerikanische Verbraucherschutzbehörde Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen von gasbetriebenen Kochherden auf die Luftqualität im Haushalt geäußert hatte, rückten diese Herde in das Zentrum amerikanischer Kulturkriege. Induktion steht für neue Technologie, Gas für die alte, und die Debatte präsentiert sich einerseits zu nuanciert und andererseits auch zu unsinnig, als dass sie für die Öffentlichkeit leicht zu verstehen wäre.

In diesem Fall schlagen sich viele Rechte – die zu unserer Rettung normalerweise auf Technologie vertrauen würden – im Namen des Widerstands gegen staatliche „Überregulierung“ auf die Seite der alten Technologie. Aber anders als in der Vergangenheit können sie gegen Induktion kein Kostenargument vorbringen. Bei IKEA ist eine Induktionsplatte nämlich um 70 Dollar zu haben.

Die Umstellung von Gas auf Induktion könnte im Kampf gegen den Klimawandel als weitgehend symbolisch angesehen werden. Ja, die meisten Haushalte in gemäßigten und kalten Klimazonen verbrauchen deutlich mehr Gas zum Heizen als zum Kochen. Doch in Haushalten, wo mit dem Umstieg die Gasleitung vollständig gekappt werden könnte, ginge es weit über reine Symbolik hinaus.

Diese Debatten um Kernfusion und Kochherde zeigen, warum es in der Technologie-Frage notwendig ist, über allzu vereinfachendes Ja-Nein-Geplänkel hinauszugehen. Generell sollte niemand bestreiten, dass wir sowohl neue Technologien als auch neue politische Maßnahmen benötigen, um die CO2-Emissionen in erforderlichem Tempo und Umfang zu senken. Man frage einfach bei der Texas Land and Liberty Coalition nach, einer Interessensgruppe, die traditionell konservative Farmer und Rancher vertritt. Diese Gruppe fordert Maßnahmen zur Förderung von Projekten im Bereich erneuerbarer Energie im gesamten Bundesstaat.

Keine Lösung ist für sich allein ausreichend

Gernot Wagner

Derartiges sollten auch alle Technologie-Optimisten tun. Wer glaubt, dass neue Technologien die Antwort auf den Klimawandel sind, sollte verlangen, dass der Staat politische Hebel in Bewegung setzt, um die Einführung dieser Technologien zu beschleunigen. Das Problem besteht jedoch darin, dass viele ihr Engagement für eine derartige Politik im stillen Kämmerlein betreiben, während sich die Gegner neuer Technologien lautstark bemerkbar machen. Aus diesem Grund bleibt der öffentliche Diskurs verzerrt.

Ein Ablenkungsmanöver

Wäre die Debatte differenzierter, würde die Öffentlichkeit erkennen, dass nicht alle technischen Lösungen gleich sind. Induktionsherde, Wärmepumpen (die effizientere elektrische Alternative zu Gas), Nachrüstungen sowie Solar- und Windenergie können – sofort – in großem Maßstab eingesetzt werden. Das ist bei anderen Technologien – vor allem bei der Kernfusion, aber auch bei grünen Flüssigbrennstoffen für Anwendungen, wo Elektrifizierung weit effizienter ist – nicht der Fall. Sie sind bestenfalls ein Ablenkungsmanöver oder, schlimmer noch, eine Ausrede für fortgesetzte Untätigkeit. Mit mehr Mitteln für Forschung und Entwicklung könnten sie in Zukunft durchaus Vorteile bringen, aber das darf nicht von der Senkung der CO2-Emissionen in diesem Jahrzehnt ablenken.

Wie es scherzhaft so schön heißt, liegt die erfolgreiche Kernfusion seit Jahrzehnten immer 30 Jahre in der Zukunft. Nun, da sie im Labor gelungen ist, könnte es mit diesen 30 Jahren tatsächlich stimmen. Das heißt, die Technologie könnte in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zu einem wesentlichen Bestandteil eines CO2-armen Stromangebots werden. Angesichts dieses Zeitrahmens würde jedoch niemand, der Ahnung von Klimawissenschaft hat, die Kernfusion als einzige Lösung vorschlagen. Etwa sieben Millionen Menschen sterben bereits jetzt jedes Jahr an den Folgen der Luftverschmutzung, die größtenteils durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht wird, und unsere Möglichkeiten, den Klimawandel in Schach zu halten, hängen davon ab, was wir von jetzt bis 2030 sowie von 2030 bis 2050 tun.

Keine Lösung ist für sich allein ausreichend. Aber die beschleunigte Einführung bereits erprobter und skalierbarer Technologien ist ein notwendiges Ziel – insbesondere, wenn man die vielen versteckten Kosten im Zusammenhang mit fossilen Brennstoffen in die Kalkulation einbezieht –, das auch neue politische Maßnahmen erfordert, um Investitionen in die richtige Richtung zu lenken. Technologie-Optimisten sollten die lautstärksten Verfechter dieser Vorgehensweise sein.

Technologie allein wird uns nicht retten. Aber das wird jede andere Maßnahme für sich allein auch nicht.

* Gernot Wagner ist Klimaökonom an der Columbia Business School und Verfasser des demnächst erscheinenden Buchs „Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln? Das riskante Spiel, mit Geoengineering die Klimakrise aufhalten zu wollen“.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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