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I wie Ikarus

I wie Ikarus

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Flieg, Ikarus, flieg!
Flieg, Ikarus, flieg!
Flieg, Ikarus, flieg!
Flieg, Ikarus, flieg!
Flieg, Ikarus, flieg!
Der Ikarus der Moderne. Der moderne Zeitgenosse, der daran gewöhnt ist, in (bildlich gesehen) höheren Sphären zu schweben.

Und in der höchsten Komfortzone zu leben. Er ist sich oft weder seines Tanzes auf einem Vulkan, noch seiner fatalen Nähe zur Sonne bewusst. Kalte Lava oder hartes Wachs – schnell glühend oder rasch schmelzend. Es kann sehr schnell gehen, wie wir wissen. Übermut – oder auch Hochmut – kommt bekanntlich vor dem Fall. Doch der Reihe nach …

«Fliege nicht zu nah an die Sonne, aber auch nicht zu tief über das Meer», sagte Dädalus zu seinem Sohn Ikarus. Dieser hörte allerdings nicht zu und bezahlte dafür mit seinem Leben. Die Sage aus der griechischen Mythologie wird immer wieder erzählt, um uns vor Übermut zu warnen.

Die Geschichte von Ikarus und seinem Vater Dädalus. Beide wurden vom griechischen König Minos gefangen gehalten und der einzige Ausweg zur Flucht bestand über den Luftweg. Also baute Dädalus für sich und seinen Sohn Flügel aus Federn und Wachs, um aus der Gefangenschaft zu entkommen. Nun brachten die Wachsflügel zwei Probleme mit sich: Wenn die beiden zu nah an die Sonne fliegen, dann würde der Wachs schmelzen. Fliegen sie allerdings zu tief über das Meer, dann würden die Wasserspritzer der Wellen das Wachs aufweichen.

Der Übermut von Ikarus führte schließlich dazu, dass er zu nah an die Sonne flog und nach seinem Absturz ins Meer starb. Er bezahlte mit seinem Leben, weil er den Ratschlag seines Vaters nicht befolgt hat. Diese Metapher wird erzählt, um uns vor Übermut zu warnen. Nach dem Motto: Wage dich ja nicht zu nahe an die Sonne, aber begnüge dich auch nicht mit zu wenig. Bleibe immer schön in der Sicherheitszone, dann kann dir nichts Schlimmes passieren. Auch der US-amerikanische Autor Seth Godin benutzt diese Metapher in seinem im Jahre 2012 erschienenen Buch «The Icarus Deception: How High Will You Fly?» Darin vergleicht er den alten Mythos mit unserer heutigen Gesellschaft, die uns bewusst oder unbewusst in gesteckten Grenzen hält. Anders gesagt: Übermut tut selten gut. Ein altbekanntes Sprichwort.

Dezidiert fatal der Sonne entgegen

Oder doch dezidiert fatal der Sonne entgegen? Trotz aller Warnungen, die man hochmütig ignoriert? Genau wie in der Sage von Ikarus sagt uns dies, dass wir nicht zu viel wagen und uns besser in sicheren Gefilden aufhalten sollten. Es gibt allerdings auch eine andere Sichtweise. Denn dieser Rat wird nicht immer aus Gründen der Fürsorge gegeben, sondern auch, um freies Denken und Selbstbestimmung zu unterbinden und den (gesunden) Individualismus einzudämmen. Anspruchslose und gehorsame Völker, Kinder oder Partner lassen sich nun einmal viel einfacher kontrollieren. Und das gilt durchaus auch in «Modern Times», wie der kritische Bürger, der allerdings weder gläsern sein, noch für dumm verkauft werden will, sehr wohl weiß …

Wenn wir uns nämlich permanent in unserer sicheren Komfortzone aufhalten, begrenzen wir die Gefahr dafür, Fehler zu begehen oder bei einem Vorhaben zu versagen. Zur selben Zeit begnügen wir uns dann aber auch mit dem Mittelmaß. Wer sein volles Potenzial ausschöpfen will, der muss raus aus der Komfortzone! Man sollte also etwas tun, das unangenehm ist oder sogar peinlich werden könnte. Etwas, vor dem man sich fürchtet oder das mit einem Risiko behaftet ist. Und den Mut aufbringen, es gleich noch ein zweites Mal zu probieren, wenn es schiefgeht. Den Schritt heraus aus der gewohnten Umgebung wagen. Viele Momente in der Geschichte haben uns jedenfalls gezeigt, heuer genau so aktuell wie es früher einmal war, dass wahre Neuerungen nur durch unkonventionelle Erfindungen und den Mut zum Risiko entstehen. Immer dann, wenn sich jemand in ein Gebiet wagt, in dem vorher noch niemand war.

Hätten nämlich diejenigen, die diese Welt mit ihren Erfindungen oder mit ihren politischen, gewerkschaftlichen, gesellschaftlichen Überzeugungen, die in ihrer Zeit als revolutionär, illusorisch oder ganz einfach unrealistisch galten, ihren jeweiligen Zeitgenossen zugehört, sich also in der gewohnten Komfortzone, die zu ihrer Zeit auch für sie selbst galt, aufgehalten, dann wäre unser Leben heute mit Sicherheit nicht das gleiche.

Man muss trotzdem nicht unbedingt zu einem Erfinder, Entdecker oder auch Revolutionär der Neuzeit werden, aber sich zumindest einige Schritte aus der gewohnten Umgebung herauswagen. Außerhalb der sicheren Grenzen beginnt das Leben, wie couragierte Zeitgenossen mit Visionen, die man durchaus haben sollte, uns auffordern. Als Mensch wachsen und Großes schaffen. Oder auch: Wer wagt, gewinnt …

Damit zur Aktualität. Und zum eigentlichen Sinn dieser Zeilen. Wir, unser kleines Land, sind im Weltall! «Space Mining» heißt das (wirtschaftliche) Zauberwort der Zukunft. Größenwahn, wie so viele meinen? Sind wir übergeschnappt? Doch erinnern wir uns. Im Sinne einer Reaktion auf Spiegel Online: «Vor 1886 wurde die Idee einer Stahlindustrie in Luxemburg belächelt, da die luxemburgische Erze von extrem minderwertiger Qualität waren und noch niemand wusste, wie man daraus Stahl kochen konnte. Als 1985 der Satellit Astra 1A in Auftrag gegeben wurde, wurde das als absolut irrsinnig angesehen. Wenn die ganze Welt außer Luxemburg denkt, es lohne sich nicht, sich Gedanken um ‹Space Mining› zu machen, dann ist Luxemburg wieder im Vorteil, wenn es soweit ist. So wurde hier sowohl die Stahlindustrie als auch die Medien-, Telekommunikations- oder auch die Transportindustrie aufgebaut. Sogar die Banken- und die verhasste Steuer(hinterziehungs)industrie wurde dadurch aufgebaut, dass man frühzeitig neue Möglichkeiten suchte. Das nennt man Geschäftstüchtigkeit. Mal geht’s auch schief – aber das nennt man dann Risiko.»

Oder auch, so ein Song der Band Deichkind mit dem Titel «Denken Sie groß», eigentlich eine musikalische Persiflage auf die Profitgier, mit der Zeile: «Ein bisschen Größenwahnsinn kann nicht schaden und auf einmal können Sie fliegen. Denken Sie groß!»

Und genau das tut man derzeit: Wir denken ganz, ganz groß. Und wir wollen fliegen. Natürlich nicht im Sinne des Ikarus, versteht sich. Nämlich mit Kalkül, mit Methode und Verstand. Wie wir das durchaus können! Luxemburg will die weltweit wichtigste Adresse für den Rohstoffabbau auf Asteroiden werden und regelt als erstes europäisches Land den Bergbau im Weltraum per Gesetz. Unser Parlament verabschiedete fast einstimmig eine Vorlage zum Abbau von wertvollen Rohstoffen auf Asteroiden und anderen Himmelskörpern. Luxemburg ist damit das erste europäische Land mit einem Rechtsrahmen, der Unternehmen gemäß internationalem Recht den Anspruch auf im Weltraum gewonnene Ressourcen garantiert. Zuvor hatten im Jahr 2015 die USA ein ähnliches Gesetz verabschiedet. Das luxemburgische Wirtschaftsministerium stellte Ende 2016 klar, dass das neue Gesetz nicht das Eigentum an Himmelskörpern regeln soll, sondern lediglich das Eigentum an dort abgebauten Materialien.

Wie wir bekanntlich wissen, ist es tatsächlich nicht das erste Mal, dass man in unserem Land nach den Sternen greift, dies nach der Gründung der «Société européenne des satellites», kurz SES, und das ebenfalls mit massiver Unterstützung der Regierung. Die damalige, scheinbar verrückte Idee: die Verbreitung von Fernsehprogrammen über Satellit. Der Plan ging auf. Im Jahr 2016 konnte man einen Nettogewinn von 962,7 Millionen Euro verzeichnen.

Manchmal muss man groß denken

Im vorherigen Jahr waren es noch 544, 9 Millionen – eine Steigerung von 76,6 Prozent. Manchmal muss man eben groß denken … Unser Ehrgeiz kennt also keine Grenzen mehr. Der künftige Abbau von Rohstoffen im Weltall ist kein unrealistisches Unterfangen, unsere weltweite Leader-Position in Sachen Satellitenkommunikation ist, wie erwähnt, in der Tat längst Realität. Die aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse an sogenannten «Metallen der Seltenen Erden», die zur Herstellung unserer modernen Alltagselektronik, die sich in Zukunft garantiert noch weiterentwickeln wird, verlangen nach Absicherung. Und die ist im erdnahen Weltall durchaus möglich. Trotzdem, und im Sinne dieses Beitrags, gilt es, das Schicksal des Ikarus ausdrücklich zu vermeiden. In den Worten des gleichnamigen Gedichts (Ikarus) von Theodor Fontane:

Immer wieder dieselbe Geschichte:
Siege, Triumphe, Gottesgerichte.
Wem jeder Sprung, auch der kühnste, geglückt,
Der fühlt sich dem Gesetz entrückt,
Er ist heraus aus dem Alltagstrott,
Fliegen will er, er ist ein Gott;
Er fällt dem Sonnengespann in die Zügel –
Da schmelzen dem Ikarus die Flügel,
Er flog zu hoch, er stürzt, er fällt,
Ein neu Spektakelstück hat die Welt,
Eben noch zum Himmel getragen …
Apollo, zürnend, hat ihn erschlagen.

* französischer Staatsmann und Publizist

Frank Bertemes