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Goldener Oktober?

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Ein Beitrag von Frank Bertemes.

Auch wenn die einleitend zitierte deutliche Einschätzung Leo Tolstois auf den ersten Blick vielleicht merkwürdig erscheinen sollte, so macht diese durchaus Sinn.
Die einen erheben sich, die anderen sinken ab. In mehrfacher Hinsicht. Und nicht nur in der Gesellschaft von Menschen, versteht sich … Oder auch, kritisch weiter gesponnen, im Sinne Platons: Der Blick des Verstandes fängt an scharf zu werden, wenn der Blick der Augen an Schärfe verliert.

Und der kritische Bürger sich nicht mehr so einfach blenden lässt. Leider auch mit dem Risiko, dass die Trotzreaktion nicht unbedingt gefällt …
Der berühmte russische Schriftsteller Leo Tolstoi, eigentlich Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi, gilt bis heute unbestritten als einer der bedeutendsten Literaten und Intellektuellen der Literaturgeschichte. Er blieb, wo er geboren war: auf dem Landgut Jasnaja Poljana, umringt von seiner großen Familie und einer wachsenden Zahl von Bewunderern. Dort saß er bis kurz vor seinem Tod – distanziert und doch in Sichtweite der Gesellschaft, als steter Stachel in deren Fleisch.

Monument seiner Zeit

Tolstoi stellte sich der Epoche entgegen, aber er wandte sich nicht von ihr ab. Genau deshalb wurde er zum Monument seiner Zeit, ihr Gewissen und Spiegel zugleich. Seine Hauptwerke sind «Anna Karenina» und «Krieg und Frieden».

Er setzte sich engagiert für gesellschaftliche Belange ein und, was kaum bekannt ist, gehörte der Titan der russischen Literatur auch zu den einflussreichsten Pädagogen seiner Zeit.
Sein 1872 veröffentlichtes Schulbuch «Alphabet» war ein Bestseller der ganz besonderen Art: Es wurde millionenfach eingesetzt, in verschiedene europäische Sprachen übersetzt und zum Lehrbuch für Generationen von Schülern bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.

Neben seinem großen Thema, der Pädagogik, kämpfte er beispielsweise an der Seite von Kriegsdienstverweigerern, nahm Anteil am Elend der Arbeiter und Bauern, empfahl glühend den Verzicht auf Fleisch und wandte sich gegen die Jagd. Auch setzte er sich mit der Religion auseinander und verurteilte die leeren und heuchlerischen (weil den Kriegsdienst bejahenden) Rituale der Kirchen, die er als Aberglaube und Magie lächerlich machte.

Exkommuniziert und unter polizeilicher Aufsicht

Für diese Haltung wurde er von den mächtigen religiösen Führern seiner Tage, etwa dem Metropoliten von Moskau, vehement angefeindet: Er wurde als «geistesgestört» verspottet, man exkommunizierte ihn öffentlich und er wurde zeitweise unter polizeiliche Aufsicht gestellt, die auch vor willkürlichen Hausdurchsuchungen nicht zurückschreckte. Entsprechende religionskritische Schriften von Tolstoi wurden zensiert und verboten.

Seine Texte wurden für die Russische Revolution mitverantwortlich gemacht. Im Jahr 1902 forderte er beispielsweise den Zaren in einem Brief auf, in Russland eine Form der Demokratie einzuführen: » Ich will nicht sterben, ohne Euch gesagt zu haben, welch einen guten Dienst Ihr Euch selbst und Millionen von Menschen erweisen könntet, und welch großen Schaden Ihr andererseits Euch selbst und Millionen zufügt, wenn Ihr an Eurem gegenwärtigen Kurs festhaltet.» Was spätestens im Oktober 1917 geschah, ist als Roter Oktober, besser bekannt als die Russische Revolution oder auch als Oktoberrevolution in die Geschichte eingegangen, nämlich die gewaltsame Machtübernahme durch die russischen kommunistischen Bolschewiki ab dem 25. Oktober 1917.
Zum Modell erklärt von den einen, kritisiert und bekämpft von anderen, hat die Russische Revolution von 1917 das 20. Jahrhundert jedenfalls nachhaltig geprägt. Ohne dieses Thema im Rahmen dieses Beitrags allerdings inhaltlich weiter zu vertiefen, nur noch folgendes:

Vor genau einhundert Jahren kam es in Russland zu den Ereignissen von welthistorischer Bedeutung, die mit der Februarrevolution begannen und im Oktober 1917 ihren Höhepunkt erreichten: In «zehn Tagen, die die Welt erschütterten», so ein historisches Zitat, eroberte die Partei der Bolschewiki unter der Führung von Lenin und Trotzki die politische Macht.

Der Sturz des Kapitalismus in einem Land mit 150 Millionen Einwohnern und die Gründung des ersten sozialistischen Arbeiterstaats der Geschichte sollten sich als das folgenreichste Ereignis des 20. Jahrhunderts erweisen. Der gewaltige Sprung Russlands vom «Zar zu Lenin» – die Errichtung einer Regierung von Arbeiterräten (Sowjets) – bildete den Auftakt zur sozialistischen Weltrevolution und stärkte überall auf der Welt das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse und der vom Kapitalismus und Imperialismus unterdrückten Massen.

Welt jenseits der Ausbeutung

Die russische Revolution erbrachte, jedenfalls in der Einschätzung überzeugter Sozialisten, mitten in der Schlächterei des Ersten Weltkriegs den Beweis dafür, dass eine Welt jenseits des Kapitalismus, ohne Ausbeutung und Krieg, möglich sein kann. Die Ereignisse des Jahres 1917 und ihre Nachwirkungen prägten sich tief in das Bewusstsein der internationalen Arbeiterklasse ein und bildeten die wesentliche politische Inspiration für die revolutionären Kämpfe, die im 20. Jahrhundert weltweit ausbrachen.

Ein «Goldener Oktober» für die Arbeiterklasse. Nur – was ist daraus geworden? Auch das muss natürlich gefragt werden …

Teil 2 erscheint morgen.