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Gackern über ungelegte Eier

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Wer findet, die nationale Wirtschaft wachse zu sehr, soll sagen, auf was er verzichten will.

Laut einer Erhebung der Bank Credit Suisse ist die Zahl der Dollar-Millionäre in Großbritannien nach dem Brexit-Votum um über 400.000 geschrumpft. Es bleiben in Kleinbritannien «bloß» noch 2,2 Millionen Menschen, die über ein Vermögen von über einer Million Dollar verfügen. Auch sonst sind die Briten «ärmer» geworden. Der schweizerischen Bank zufolge fiel das durchschnittliche Vermögen der erwachsenen Bürger um 33.000 Dollar auf nunmehr 289.000 Dollar.

Die «Verarmung» der Untertanen Ihrer Majestät ist das Resultat des Wertverfalls des britischen Pfundes gegenüber Dollar und Euro sowie der Turbulenzen an den Finanzmärkten wegen der Unsicherheiten um die britische Wirtschaft nach dem langen Abschied des Landes aus der Europäischen Union.

Es ist auch der anschauliche Beleg für die Relativität von «Reichtum» und «Armut». Man ist «reich» im Verhältnis zu anderen. Dank eines hohen Bankkontos, durch den Besitz großer Stocks an Immobilien, Ländereien, Aktien. Wegen schwankender Wechselkurse, durch Hoch und Tiefs auf dem Wohnungsmarkt oder an den Börsen variiert deren Wert innerhalb von geringen Zeiträumen enorm.
«Arm» ist in Luxemburg, wer nur den Mindestlohn erhält. Obwohl unser Mindestlohn (2.000 Euro) weltweit der höchste ist. Milliarden Menschen würden diesen mit Begeisterung akzeptieren. 800 Millionen Menschen müssen mit weniger als 50 Euro im Monat auskommen. Für die UNO-Experten beginnt der Mittelstand in Euro umgerechnet ab einem Einkommen von 275 bis 2.500 Euro pro Monat (Michel Camdessus: Vers le Monde de 2050). Unser Mindestlohn von 2.000 Euro wäre damit praktisch überall «Mittelstand». Die Einkommensskala in Luxemburg sprengt alle internationalen Konventionen.

Das ist die Relativität der Dinge. Arcelor-Boss Lakshmi Mittal gehörte nach der erfolgreichen Übernahme des Stahlkonzerns zeitweilig zu den reichsten Menschen der Welt. Heute rangiert er nicht unter den Armen, doch hat sein Aktienbesitz nahezu 90% an Wert verloren. Selbst sein Londoner Prunkbesitz ist nach dem Pfund-Verfall weniger wert. Es sei denn, er könnte seine Liegenschaften günstig in Dollar oder Euro vergülden.

Euro als Schutzschild

Der von manchen Europäern noch immer ungeliebte Euro erklimmt neue Höhen gegenüber dem Pfund und Dollar. Damit werden die Europäer theoretisch reicher. Wer außerhalb des Euroraumes reist, besitzt mehr Kaufkraft. Auch Importe verbilligen sich, z.B. die noch immer unentbehrlichen Ölprodukte. Während in Großbritannien die Inflation durch die Verteuerung der Importe anzieht, steigen die Wachstums-Aussichten in der EU. Die ehemaligen Sorgenkinder Irland und Portugal scheinen aus dem Schneider zu sein. Selbst in Griechenland gibt es Silberstreifen am Horizont. Vor allem die Eurozone ist im Aufschwung. Wachstum und damit Arbeitsplätze nehmen zu.
In Luxemburg gibt es öfters Stimmen gegen den «Wachstums-Fetischismus». Zuviel Verkehr gibt es auf unseren engen Straßen. Zu viele Ausländer wollen hierzulande arbeiten und gar wohnen. Der Druck auf dem Wohnungsmarkt und die Notwendigkeit der ständigen Anpassung der öffentlichen Einrichtungen sind in den Augen mancher Mitbürger ein zu hohes Tribut an den wirtschaftlichen Erfolg des Landes.

In Wirklichkeit kann man wirtschaftliche Entwicklung nur sehr beschränkt steuern. Eine wachstumsfeindliche Politik wäre möglich, indem das Land sich abkapseln würde. Wir müssten bloß aus der Europäischen Union austreten und alle ausländischen Investitionen verbieten. Ob die Luxemburger dadurch glücklicher würden, darf angezweifelt werden.

«Homo migrans»

In seinem Buch «L’Age des Migrations» analysiert der französische Demograf Hervé Le Bras die französische Volkszählung von 1891. Damals wurden im Nachbarland 31.200 luxemburgische Emigranten gezählt. Die Mehrheit arbeitete in jenen benachbarten Departments, aus denen jetzt werktäglich 100.000 französische Grenzgänger nach Luxemburg strömen.
1891 lebten rund 210.000 Menschen in Luxemburg. Dass davon 15% in Frankreich ihr Geld verdienen mussten, plädiert nicht gerade für eine nationale Politik der Beschränkung des wirtschaftlichen Wachstums.

Zusätzlich zu den 31.200 Grenzgängern in Frankreich emigrierten zwischen 1845 bis 1892 einige 70.000 Einheimische in die USA. Sie konnten sich und ihre Familien als damals wahre Bio-Bauern hierzulande nicht ernähren. Ab dem 20. Jahrhundert wurde Luxemburg zum Immigrationsland. Aus 210.000 Einwohnern vor 125 Jahren wurden über 600.000 im Jahre des Heils 2017. Nahezu die Hälfte sind Ausländer. Es gibt 400.000 Beschäftigte. Die Luxemburger stellen etwa ein Drittel. Auch nur, weil der Staat 2008 die Möglichkeiten zur Erwerbung der Nationalität stark erweiterte. Was dem Ländchen bis letztes Jahr 35.000 neue Luxemburger bescherte.

Luxemburg ist um 18 Quadratkilometer größer als das Saarland. Wo zur Hochzeit der Montanindustrien 1,2 Millionen Menschen lebten, ohne dass das Land zu einer Betonwüste wurde. Die Probleme des Saarlandes sind heute eine schrumpfende Bevölkerung, unterhalb einer Million.
Luxemburg wuchs dagegen zum wirtschaftlichen Zentrum einer Großregion heran. Alle wirtschaftlich potenten Städte sind ein Magnet für die umliegende Bevölkerung. Die große Mehrheit der Arbeitnehmer in Brüssel und anderen Großstädten lebt nicht «intra muros», sondern kommt oft von weit her. Nach Luxemburg strömen 170.000 Grenzgänger über kaum noch wahrgenommene Landesgrenzen. Schengen sei dank.

Keine Betonwüste

Einrichtungen, Industrie- und Gewerbeanlagen, Städte und Dörfer nehmen weniger als zehn Prozent der Landesfläche in Anspruch. Das ständige Gejammer über Biodiversitätsverluste ist nicht angebracht. Zumal die Natur sich bestens dort entwickelt, wo die menschliche Hand eingegriffen hat: Baggerweiher, Tagebauminen und vieles mehr.
Bei jedem neuen Projekt formiert sich die Verhinderungs-Phalanx von selbst ernannten Umweltschützern. Diese Bedenken-Mentalität bewirkte, dass sich Ikea 200 Meter jenseits der Landesgrenze niederließ. Dass der landwirtschaftliche Verband über die Mosel emigrieren musste. Dass das nationale Stadion nicht auf der «grünen Wiese» bei Roeser von Privaten erbaut werden durfte. Dafür darf nunmehr der Steuerzahler für ein Stadion zahlen, das im Grüngürtel der Hauptstadt entsteht.
Wir bringen das Kunststück fertig, um in Belval 120 Hektar an Industriebrachen zu urbanisieren, ohne einen Hektar für Industriebedarf einzuplanen. Das Gleiche wird wohl auf dem früheren Gelände von Arbed Schifflingen passieren. Wenn dann ein Google sich hierzulande einpflanzen will, geht das große Gegacker los. Wie sagte Abraham Lincoln: «Hühner sind kluge Tiere, sie gackern erst, wenn sie ein Ei gelegt haben!»

Hierzulande gackert man mit Vorliebe über ungelegte Eier. Etwa die dümmliche Diskussion über Wachstumsverhinderung. Wer dies fordert, soll sagen, was nicht mehr wachsen soll. Keine zusätzlichen Banken mehr, keine Fonds, keine Industrien, keine internationalen Institutionen? Den Flughafen schließen oder um die Million Passagiere zurückschrauben, die unter dem Regiment eines grünen Ministers zusätzlich den Findel nutzten?

Wer weniger wirtschaftliche Entwicklung fordert, muss auch sagen, wie er zum sozialen Wohlstand des Landes steht: Index- und Rentenanpassungen, Punktwert-Erhöhungen, Kinder-Zulagen und vieles mehr. Wer soll das finanzieren, wenn nicht eine florierende Wirtschaft?

Gewiss, Geld ist nicht alles. Ermöglicht aber vieles. Doch das Gerede über Bruttonationalglück statt Bruttosozialprodukt ist reinste Phrasendrescherei.
In Butan, so heißt es, sei der Glücksindex bereits Wirklichkeit, lebe man nach den Regeln der nachhaltigen Entwicklung, des Umweltschutzes und der kulturellen Identität. Allein die Verteidigung der «kulturellen» Identität Butans führte zur Vertreibung von über 100.000 nepalesischen Ihutsampas. In einem Land von 775.000 Menschen, von denen ein Viertel in absoluter Armut lebt, aber «glücklich», wie der regierende Monarch glaubt. (Asie: Le dessous des cartes, Jean-Christophe Victor.)
Ob die Luxemburger nicht doch etwas besser leben?

Robert Goebbels, ehemaliges Regierungsmitglied und früherer Europaabgeordneter

armand
11. Oktober 2017 - 15.16

der schreiber wusste während seiner ganzen politischen laufbahn (lsap, abgeordneter, minister, eu-parlamentarier und nicht zu vergessen lobbyist) immer wo der futtertrog stand.

Luss
11. Oktober 2017 - 11.41

@Robert Goebbels. Wie Recht Sie haben! Geld ist nicht alles! Man muss auch Gold, Diamanten, Immobilien und Aktien haben.

Grober Jean-Paul
11. Oktober 2017 - 11.19

„Wer weniger wirtschaftliche Entwicklung fordert, muss auch sagen, wie er zum sozialen Wohlstand des Landes steht: Index- und Rentenanpassungen, Punktwert-Erhöhungen, Kinder-Zulagen und vieles mehr. Wer soll das finanzieren, wenn nicht eine florierende Wirtschaft?“
Herr Goebbels, es tut mir leid, versteh nicht ganz, Bruttosozialprodukt, florierende Wirtschaft. Merke nur, dass meine Pension immer weniger Wert wird, kaufe wahrscheinlich falsch ein.
Kenne manche Leute wo die florierende Wirtschaft nicht mehr ankommt, obwohl sie täglich arbeiten und zum Bruttosozialprodukt beitragen.
Das Bruttosozialprodukt steigt, mein Bruttonationalglück schwindet so langsam, bin vielleicht auch der einzige, vielleicht liegt es auch am Alter.
Werde in Zukunft nicht mehr gackern, versprochen :)

Marius
11. Oktober 2017 - 9.29

Aus voller Kehle verkündet wieder ein gestandener Sozialist seine Weltsicht und bekräftigt sein "Credo" zum Neoliberalismus, Luxemburger Prägung. Indirekt bekennt er sich auch zu dem abstrusen Luxemburger Geschäftsmodell. Herr Goebels, Recht haben sie, Geld regiert die Welt, aber wer regiert das Geld. Auf besonders anschauliche Art und Weise, lässt sich dieser Sachverhalt in Luxemburg anschaulich nachvollziehen, für all diejenigen die sich die Mühe geben wollen, die Hintergründe des hiesigen Wohlstandes näher zu beleuchten. Es geht im globalen Liberalismus in erster Linie um einen gigantischen Umverteilungsprozess, der von unten nach oben verläuft, statt von oben nach unten. Wird auch von den hiesigen Sozialisten einfach unter den Tisch gekehrt. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.

René Charles
10. Oktober 2017 - 21.53

Emwerfend gutt, wéi ëmmer.
Schued dass wéinech vun dénen, déi sech eng Nues voll missten huelen, dat do liesen an 'inhaléiren'.

N.B. Wann se den Rob (LSAP) Goebbels an der Zäit gewärde geloos hätten, wier elo d'A6 schons
iwer 40 Joer 6-spurech!